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Stadtratsblog #31: 2.6.2022

Auf dem morgendlichen Weg ins Büro atme ich tief ein: So riecht ein Festtag der Demokratie. Bei allen Diskussionen und Emotionen freue ich mich auf den Stadtrat. Wer wird Nachfolger von Bürgermeister Michael Wieler? Das ist zu diesem Zeitpunkt völlig offen. Wenige Stunden später sieht das anders aus. Unser klarer Favorit Tom Lehnert zieht per E-Mail seine Kandidatur zurück. In der Begründung stehen Dinge, die bestimmten politischen Kreisen in unserer Stadt einen Spiegel vorhalten. Kreisen, denen es von vornherein nicht um die Auswahl des am besten fachlich und menschlich geeigneten Kandidaten ging. Deren Ziel ausschließlich in einem merkwürdigen Machtanspruch bestand.

Michael Wieler hat nach verdienstvollen 14 Jahren Amtszeit dem Vertrauen in die Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Erinnern wir uns: Bevor die Stellenausschreibung für den Beigeordneten überhaupt veröffentlich wurde, präsentierte er in seiner Funktion als Vorsitzender der Bürger für Görlitz e.V. Benedikt Hummel als Wunschnachfolger. Medial war zu vernehmen, dass dies auch mit der CDU abgestimmt sei. Folge: Durch diese Festlegung konnte ein besser geeigneter Bewerber nur mit Hilfe der Stimmen der AfD Bürgermeister werden. Dieses Kalkül ist durchtrieben. Zumal der blaue Dolch am Ende gezogen wurde. Bewerber Tom Lehnert über Anrufe und Textnachrichten diffamieren, uns vorwerfen, mit der AfD zu stimmen (es gab keine Absprachen) – genau das waren die Winkelzüge, die wir in den Tagen vor der Wahl erleben durften. Ich habe volles Verständnis, dass Tom Lehnert die Notbremse gezogen hat. Aus Rücksicht auf sich, seine Familie und ja – auch auf das Amt.

Die Vorfreude auf den Stadtrat ist dahin. Wir verständigen uns als Fraktion. Die Devise ist klar: Der am besten geeignete Kandidat wird gewählt. Wer das von den drei verbliebenen Bewerbern sein wird, entscheiden wir nach deren Vorstellung. Mit diesem Plan geht es in die Sondersitzung um 14.15 Uhr. Sie ist nötig geworden, weil das Auswahlverfahren mangelhaft war. Es gab keine Beauftragung des Verwaltungsausschusses als Vorauswahlgremium. Ein Bewerber schaltete das Gericht ein. Die Links-Fraktion die Rechtsaufsicht. Um das Verfahren zu heilen, wurde die Sondersitzung anberaumt, zu der alle neun Bewerber eingeladen wurden. Somit hat pro Forma jeder die Möglichkeit bekommen, sich vorzustellen. Wer das als „Schauspiel“ bezeichnet, hat nicht ganz unrecht. Am Ende nehmen auch nur drei Männer diese Chance wahr.

Bevor sich die Kandidaten in nichtöffentlicher Sitzung vorstellen, klärt der Stadtrat das Prozedere. Aufgrund der neuen Situation mit dem provozierten Rückzug eines geeigneten Bewerbers beantrage ich für meine Fraktion, die Wahl auf die Sitzung am 23. Juni zu verschieben. Das lehnt die Mehrheit aus CDU, BfG und AfD ab. Anschließend erfrage ich, ob Bürgermeister Wieler befangen ist. Dann dürfte er an den Beratungen zur Wahl nicht teilnehmen. Meine Begründung: Herr Wieler war in seiner Funktion als Vorsitzender der BfG bereits in diesem Prozess tätig, als er Benedikt Hummel als Wunschnachfolger vor Pressevertretern ausgerufen hatte. Die Juristin des Rathauses sieht das anders, es entspinnt sich ein kurzer Austausch. Michael Wieler verlässt freiwillig seinen Platz während der Sondersitzung. Damit wir uns wohler fühlen, sagt er in Richtung unserer Fraktion. Auf mein Wohlbefinden hat Wieler keinen Einfluss, es geht um ein sauberes Verfahren. Wird im Nachgang eine Befangenheit festgestellt, ist womöglich die Wahl ungültig.

Es folgt ein nichtöffentlicher Teil, in dem sich drei Kandidaten vorstellen und Fragen beantworten. Im Rennen sind neben Benedikt Hummel noch Ulf Hüttig (Rechtsanwalt) und Peer Purschke (Justiziar in der Stadtverwaltung). Einzelheiten bleiben hinter den verschlossenen Türen.

Als die Öffentlichkeit wieder zugelassen ist, beschließen wir einstimmig, dass sich alle drei Kandidaten in der nun folgenden regulären Stadtratssitzung vorstellen. Keine große Überraschung, denn es war ohnehin geregelt, dass mindestens drei Bewerber in die letzte Runde kommen.

Wen wählen wir? Diese Frage bewegt unsere Fraktion in einer kurzen Sitzungspause. Wir beschließen, bei unserem eingeschlagenen Weg zu bleiben. Keine Fundamentalopposition, auch wenn das Verfahren etwas riecht. Es soll der Beste unter den verbliebenen Kandidaten werden. Wer das ist, muss die letzte Vorstellungsrunde klären. Wir bekommen erneut die Herren Hüttig, Hummel und Purschke präsentiert. Mein Eindruck festigt sich: Es kann nur Benedikt Hummel sein. Er macht einen guten Eindruck, reagiert offen und ehrlich auf kritische Fragen. Mit der Fraktion stimmen wir uns ad hoc in einem Chat ab. Es herrscht große Einigkeit – aber kein Enthusiasmus. Die Wahl erfolgt geheim, so dass man auch nicht mit 100% Sicherheit weiß, wer wen gewählt hat. Das Ergebnis ist eindeutig: Benedikt Hummel bekommt 24 Stimmen, Peer Purschke 10 und Ulf Hüttig geht leer aus (was nicht verdient ist, aber man hat nur eine Stimme). Der neue Beigeordnete heißt Benedikt Hummel. Ich gratuliere ihm und wünsche uns eine gute Zusammenarbeit.

Bei allem Gram bin ich stolz auf unsere Fraktion, die sich treu geblieben ist. Der oder die Beste soll es werden, hieß von Beginn an unsere Devise. Wir haben uns intensiv mit den Bewerbungen beschäftigt, mit fünf Kandidaten persönlich gesprochen, uns an der Vorauswahl im Verwaltungsausschuss beteiligt und schließlich aus all den Eindrücken Tom Lehnert als unseren Favoriten gekürt. Man kann uns viel vorwerfen – vor allem zu emotionale Reaktionen. Aber wir haben das ernst genommen, diese Bestenauswahl für unser Görlitz. Im Gegensatz zu CDU und BfG, die das Auswahlverfahren für sich als beendet erklärten, bevor es überhaupt begann.

 

Show must go on: In der Stadtratssitzung folgt die Fragestunde für Einwohner. Ein Anwohner der Lunitz beschwert sich über das Tanzglockenspiel. Es stört die Ruhe, liegt es doch nur knapp zehn Meter neben dem Schlafzimmerfenster. Der Bürger ist verärgert, weil die Verwaltung aus seiner Sicht nicht intensiv genug eine Lösung herbeiführt und es keinen Vor-Ort-Termin gab. Bürgermeister Michael Wieler erläutert, dass sich das Rathaus damit beschäftigt habe. Das Glockenspiel lässt sich nur mechanisch abstellen. Dies könne von den Anwohnern nach 20 Uhr übernommen werden. Das Thema ist tricky und ein Beispiel für nötige Abwägungen. Wir wollen Freiräume für Kinder und Jugendliche und gleichzeitig die Anwohner vor Lärm schützen. Ich bin gespannt, wie die Lösung aussieht. Und ob Michael Wieler die Einladung ins Schlafzimmer in der Lunitz annimmt, wo er sich davon überzeugen soll, dass das harmlos wirkende Tanzglockenspiel die Wände erzittern lässt.

Eine weitere Frage dreht sich um Tempo 30 in der Stadt. Herr Wieler erzählt etwas Positives: Demnächst gibt es eine Beschlussvorlage der Verwaltung für weitere Tempo 30-Zonen in der Innenstadt. Nachdem ich die Bitte einer Bewohnerin der Gartenstraße im Technischen Ausschuss vorgebracht hatte, gab es dort eine Offenheit der Stadträte. Dies motoviert Herrn Wieler, Tempo 30 wieder ins Spiel zu bringen. Der bis 2019 aktive Stadtrat hatte solcherlei Vorschläge in unschöner Regelmäßigkeit abgelehnt.

 

Es folgt die Fragestunde für Stadträte. Mein Kollege Andreas Kolley möchte wissen, warum die Strandbar am Nordoststrand des Berzdorfer Sees auf absehbare Zeit keinen Wasseranschluss bekommt. Der zuständige Amtsleiter Torsten Tschage begründet das damit, dass die Strandbar eine mobile Anlage ist, die nur in der Sommersaison betrieben wird. Sie muss ohnehin wieder abgebaut werden, bis entschieden ist, wer in der nächsten Saison als Gastroanbieter an den Strand darf. Es braucht laut Tschage einen dauerhaften Abnehmer, sonst drohen die Trinkwasserleitungen zu verkeimen. Außerdem fehlt ein Bebauungsplan. Diese Antwort befriedigt uns nicht. Wir werden zwei Dinge tun: Erstens soll die Entscheidung über die Betreibung in der nächsten Saison so rechtzeitig fallen, dass im Fall eines Zuschlags die Strandbar nicht ab– und wieder aufgebaut werden muss. Zweitens wollen wir uns im Technischen Ausschuss intensiver mit der Wasserfrage beschäftigen und über mögliche Alternativen beraten.

Kollege Danilo Kuscher erkundigt sich, wie es mit der Digitalisierung und dem Personalkonzept vorangeht. Leider bekommen wir hierzu – wie immer eigentlich – nur ausweichende Antworten von OB Ursu. Die Beschaffung von Laptops und Co. aus dem Digitalpakt für Schulen hat jedenfalls nichts mit der Digitalisierung der Verwaltung oder gar einer Smart City zu tun. Wir kommen nicht zu Potte bei diesen Themen. Auch ein Personalkonzept ist nicht in Sicht. Herr Ursu verspricht ein paar Angaben in Vorbereitung des nächsten Haushalts. Unbefriedigend. Es fehlt vorausschauendes und strategisches Agieren des Oberbürgermeisters.

 

Anschließend fassen wir einige Beschlüsse:

Vergabe Neubau Feuerwehrgebäude Innenstadt – Tief- und Straßenbau

Der Zuschlag zur Beauftragung wird auf das Angebot des Unternehmens STL Bau Löbau GmbH & Co. KG mit dem Bruttoangebotspreis von 628.791,05 EUR erteilt.

 

Beschaffung von interaktiven Displays für die Schulen der Stadt Görlitz im Rahmen des Digitalpaktes

Hier brauchte es einen Termin von Schulleitern, Verwaltung und Stadträten, um sich zu einigen. Das Rathaus wollte zunächst aus Kostengründen interaktive Displays ohne integrierte Rechner beschaffen. Von den Schulen wurden aber gute Argumente aus ihrer Arbeitspraxis angebracht, die uns davon überzeugt haben, die Variante mit integrierten PCs zu beschaffen. Das Geld dafür ist auch durch die Förderung des Freistaates vorhanden. Was haben wir gelernt: Es ist grundsätzlich gut als Stadtrat, alle Beteiligten zu hören und sich nicht ausschließlich auf das Urteil der Verwaltung zu verlassen. Selbst wenn es nach bestem Wissen und Gewissen gefällt wurde.

 

Der Seniorenbeirat muss neu gewählt werden. Das hängt mit den vielen Wechseln in der AfD zusammen. Ursprünglich sollte nur ein Blauer gegen einen anderen ausgetauscht werden (sie haben bislang zwei von vier Sitzen im Seniorenbeirat). Wir haben gesagt, dass wir der AfD diesen zweiten Sitz nicht kampflos überlassen. Ich habe mich als Kandidat zur Verfügung gestellt. Da die AfD-Trümmertruppe mit zwischenzeitlich nur 7 von 12 Stadträten anwesend ist, gelingt der Schachzug auch. Die AfD verliert einen Sitz an Motor/Grüne. Ich freue mich auf die Aufgabe. Der Name passt ja schon mal. Weiterhin gewählt wurden Dieter Gleisberg (CDU), Prof. Joachim Schulze (BfG-Fraktion), Peter Stahn (AfD).

 

Verkauf einer Fläche im Gewerbegebiet Hagenwerder

SKAN kann weiter wachsen. Der Stadtrat beschließt den Verkauf einer Teilfläche in einer Größe von ca. 23.480 m² an die SKAN Deutschland GmbH. Der Kaufpreis beträgt 194.000,00 EUR. Das Unternehmen ist bereits seit 2013 im Gewerbegebiet ansässig. Ursprünglich wurden 30 Arbeitsplätze geplant. Mittlerweile ist SKAN auf über 230 Mitarbeiter angewachsen. Das Unternehmen stößt nun an seine Grenzen. Damit der Weltmarktführer von Isolatorlösungen für Biopharmakunden wachsen kann, erfolgt ein Flächenverkauf der Stadt.

 

Zeitliche Verlängerung des Sanierungsgebietes „Gründerzeitviertel“

Die Laufzeit für das Sanierungsgebiet „Gründerzeitviertel“ wird bis Ende 2027 verlängert. Es umfasst die Innenstadt West von der Teichstraße bis zur Brautwiesenstraße. Die Sanierungsziele sind noch nicht erreicht, speziell was die Revitalisierung von ehemaligen Gewerbeflächen betrifft. Durch die Verlängerung des Sanierungsgebietes stehen weiterhin steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und Fördermittel zur Verfügung, die dringend nötige Investitionen unterstützen sollen.

 

Befragung der Händler auf dem Wochenmarkt

Im März hatten wir die Vertreterin der Marktgilde zu Gast im Stadtrat. Ihr Bericht ließ bei uns die Alarmglocken schrillen. Dass das Markttreiben mit dem neuen Betreiber nicht üppiger geworden ist, sieht man ohnehin. Wir wollen die Verwaltung mit einer Befragung der Markthändler beauftragen. Wie ist die Stimmung? Welche Verbesserungsvorschläge gibt es? Welche Wünsche haben die Händler für die Neugestaltung des Platzes? Und wohin wollen sie als Ausweichstandort, wenn der „Eli“ saniert wird? Der Oberbürgermeister schlägt einen Zwischenschritt vor, da es nach seiner Ansicht bereits einen hohen Wissensstand zu diesen Fragen gibt. Wir sollen uns mit den Fachabteilungen in den Ausschüssen dazu austauschen und danach entscheiden, ob wir die Befragung benötigen. Diesem Vorschlag stimmen wir zu und beenden die Sitzung mit einem guten Kompromiss.

 

Autor: Mike Altmann

Schach ohne Gegner oder Sorge vor Neuen

Michael Wieler (BfG), amtierender Beigeordneter der Stadt Görlitz, empfiehlt in einer Pressekonferenz seinen Nachfolger, noch bevor die Stelle ausgeschrieben ist. Der Leiter der Görlitzer Ausgabe der Sächsischen Zeitung Sebastian Beutler lobt ihn und OB Octavian Ursu (CDU) in einem Kommentar dafür. Das habe nichts mit Erbhöfen zu tun, sondern mit Verantwortung und Politik, schreibt er unter der Überschrift „Gewiefter Schachzug ärgert die Konkurrenz“. Dr. Jana Krauß, bündnisgrüne Stadträtin unserer Fraktion, kommentiert den Kommentar und erläutert, warum nicht nur das gesamte Auswahlverfahren, sondern auch der ausgerufene Favorit beschädigt ist:

 

„Einfach so abzutreten, hätte zu Michael Wieler nicht gepasst“ – dieser Aussage Sebastian Beutlers kann ich uneingeschränkt zustimmen, ansonsten bietet seine Einordnung der Nachfolgerempfehlung für das Beigeordnetenamt durch den Noch-Amtsinhaber Dr. Wieler (14. März 2022) ausreichend Anlass, den Vorgang aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Wie politisch ist ein Beigeordnetenamt?

Ist das Amt des Bürgermeisters ein „politisches Wahlamt“, woraus sich ein politisch verantwortungsvolles Vorgehen Dr. Wielers ableiten ließe, wie Sebastian Beutler das tut? Zunächst: Dr. Wieler ist Beigeordneter des Bürgermeisters. Unser Bürgermeister ist Herr Ursu. Der Bürgermeister wird von den Bürgerinnen und Bürgern seiner Kommune gewählt, sein Beigeordneter vom Gemeinderat. Vom Bürgermeister kennen wir politische Anschauungen, Parteibuch etc. aus einem langwierigen Wahlkampf, d. h. er bekam aus politischer Motivation die Mehrheit der Stimmen. Die verwaltungsfachlichen Voraussetzungen zur Amtsausübung rangieren hier eindeutig hinter Politik. Deshalb könnte man das Amt des Bürgermeisters als „politisches Wahlamt“ bezeichnen. Vom Beigeordneten hingegen verlangt die Sächsische Gemeindeordnung die für das Amt erforderlichen fachlichen Voraussetzungen. Um sie gewährleisten zu können, werden vakante Beigeordnetenstellen ausgeschrieben, damit sich jeder und jede mit der entsprechenden fachlichen Eignung bewerben kann (gemäß GG Art. 33 Satz 2). Zu Recht bewertet die Gemeindeordnung die fachliche Eignung des Beigeordneten deutlich höher als die politische Motivation zur Amtseinführung und Amtsausübung. Darüber hinaus müssen Bewerber oder Bewerberinnen für das Beigeordnetenamt keine Aussagen zur eigenen Weltanschauung machen. Mit anderen Worten: Das Amt des Beigeordneten ist ein Wahlamt, aber kein politisches. Selbstverständlich ist es so, dass sich Politik schwer gänzlich aus dem Amt des Beigeordneten heraushalten lässt. Dennoch ist das soweit wie möglich angezeigt, schließlich handelt es sich weder beim Bürgermeister noch bei seinem Beigeordneten um eine kommunale „Regierung“; vielmehr ist ihr Auftrag, laufende Verwaltungsaufgaben zu erfüllen und Beschlüsse des Gemeinderats umzusetzen.

Welches Signal geht von Görlitz aus?

Werfen Linksfraktion und die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne Dr. Wieler vor, „den Auswahlprozess zum Stillstand gebracht zu haben, bevor er richtig losging“ (Zitat Sebastian Beutler)? Schwerlich. Man kann nichts zum Stillstand bringen, was noch gar nicht am Laufen ist. Zum zeitlichen Ablauf: Am 7. März gab Dr. Wieler seine Nachfolgerempfehlung ab. Am 11. März erst erfolgte die öffentliche Stellenausschreibung mit entsprechendem Anforderungsprofil auf der städtischen Seite. Weitere drei Werktage dauert es, bis sie auch auf Stellenportalen erschien. Wir haben kritisiert, dass der Prozess noch nicht begonnen hat und dennoch ein Kandidat von höchster Stelle empfohlen wird, was in unseren Augen mögliche Bewerberinnen und Bewerber abhält, sich überhaupt am Prozess zu beteiligen, nach dem Motto: Die Messe ist schon gelesen. Beteiligung ist aber inhärenter Bestandteil von Demokratie, von Entwicklung. Görlitz gibt hier ein schlechtes Signal nach außen: Wir wollen unter uns bleiben, weil wir ohnehin wissen, wie es geht. Wir wollen uns nicht auf Neues einstellen, das macht nur Probleme und führt zu Verzögerungen.

Von Wieler ins Amt gehoben?

Herr Beutler schreibt: Dr. Wielers „Hinweis auf die wahrscheinliche Kandidatur von Benedikt Hummel…“. Das ist mindestens eine interessante Formulierung. Die öffentliche Wahrnehmung war wohl ein andere und auch dem SZ-Beitrag vom 7. März ist zu entnehmen: Dr. Wieler empfiehlt Benedikt Hummel als geeigneten Nachfolger für das Beigeordnetenamt. War der „Schachzug“ Dr. Wielers „gewieft“, wie sich Herr Beutler ausdrückt? Nun, gewieft meint landläufig wohl so etwas wie schlau, gewitzt, sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassend. Mal abgesehen von der falschen Metapher – Schach wird gegen einen Gegner gespielt, dieser ist hier nicht vorhanden: Gewieft war dieses Vorgehen mit Sicherheit nicht, denn es hat Schaden angerichtet. Es stigmatisiert ausgerechnet den Kandidaten, dem man doch glaubt den „roten Teppich“ (Zitat Sebastian Beutler) auszurollen. Benedikt Hummel läuft Gefahr, das Label „von Wieler ins Amt gehoben“ zu tragen, was automatisch seine Kompetenzen untergräbt. Dieses Vorgehen zeigt auch, dass Dr. Wieler seinem empfohlenen Kandidaten nicht zutraut, dass dieser mit seinen Kompetenzen selbst überzeugen kann. Ich persönlich bedauere dies sehr, denn ich glaube, dass Benedikt Hummel es überhaupt nicht nötig hat, protegiert zu werden. Und schließlich beweist dieses Vorgehen wieder einmal, was Dr. Wieler von Stadträten hält. Nämlich nichts. Dr. Wieler zeigt ein durchaus beharrlich zu nennendes Verlangen danach, dem Stadtrat die lange Nase zu machen, ihn zu manipulieren, statt offen und nach Regeln mit ihm umzugehen. Auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit sieht anders aus.

Angst vor „Neuen“?

Es ist auch nicht so, wie der Kommentar Sebastian Beutlers suggeriert, dass bereits im Vorfeld des Besetzungsverfahrens die Empfehlung Dr. Wielers nötig wäre oder gar von Verantwortung getragen sei. Denn wie Sebastian Beutler selbst schreibt: Weitere Bewerber oder Bewerberinnen sind nicht bekannt. Mal abgesehen davon, hätte sich ja auch niemand bisher bewerben können. Vor welchen „Neuen“ haben Bürgermeister und Beigeordneter denn Angst? Weshalb sollte es nicht möglich sein, sich schnell einzuarbeiten in die wichtigen Projekte, um deren Steckenbleiben zu verhindern? Welche Projekte sind denn gemeint? Ich kenne jedenfalls keines, das ein Bürgermeister oder Beigeordneter ganz allein bearbeitet und dem niemand zur Seite stünde, der auch damit befasst ist. Solch eine Aussage spiegelt eher das fragwürdige Selbstbild vom unersetzbaren Beigeordneten.

Was wäre ein faires Verfahren?

Nun ist der „Schachzug“ schon vollbracht. Dennoch hilft es vielleicht für die Zukunft, einen Ablauf zu skizzieren, der nicht für Unmut gesorgt, die oben genannten Schäden vermieden hätte und fair und den Regeln entsprechend erfolgt wäre:

  1. Der Beigeordnete gibt bekannt, dass er für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung steht.
  2. Der Bürgermeister entwirft in gemeinsamer Diskussion mit dem Stadtrat die zukünftigen Aufgaben des Beigeordneten. Dies kann unter Umständen eine Neuverteilung der Dezernate zur Folge haben. Daraus ergibt sich das Anforderungsprofil für die Stellenausschreibung des Beigeordneten.
  3. Die Beigeordnetenstelle wird öffentlich ausgeschrieben.
  4. Bewerberinnen und Bewerber stellen sich nach Bewerbungsschluss im dafür vorgesehenen Gremium dem Stadtrat vor. Der aus dem Amt scheidende Beigeordnete gibt – sofern er dies möchte – dem Stadtrat eine fachlich begründete Empfehlung.
  5. Der Stadtrat wählt in öffentlicher Sitzung den Beigeordneten oder die Beigeordnete. Dabei ist selbstredend daran zu denken, dass dies im Einvernehmen mit dem Bürgermeister geschieht.

Wie gehen wir mit Macht um?

Wir als demokratische Gesellschaft haben uns Regeln gegeben, weil wir aus der Geschichte gelernt haben. Macht tendiert dazu, sich selbst zu erhalten, das ist menschlich und nachvollziehbar. Daher muss Macht hinterfragt, reguliert und kontrolliert werden und wechseln können. Umgehen wir die von uns selbst aufgestellten Regeln der Demokratie, dann umgehen wir automatisch auch die Demokratie. Und das kann nicht gut sein und schon gar nicht richtig. Offenheit, Transparenz, Teilhabe und eben auch Mut zu eventuellen Beschränkungen der Macht – davon lebt Demokratie. Das mag idealistisch klingen und das ist es auch. Aber vom Idealen ausgehend ins Realistische zu kommen, macht Möglichkeiten denk- und sichtbar. Das halte ich für entwicklungsfähiger als schulterzuckend die Realität zu akzeptieren und Neues zu vermeiden.

 

Foto: Pixabay