Schach ohne Gegner oder Sorge vor Neuen

Michael Wieler (BfG), amtierender Beigeordneter der Stadt Görlitz, empfiehlt in einer Pressekonferenz seinen Nachfolger, noch bevor die Stelle ausgeschrieben ist. Der Leiter der Görlitzer Ausgabe der Sächsischen Zeitung Sebastian Beutler lobt ihn und OB Octavian Ursu (CDU) in einem Kommentar dafür. Das habe nichts mit Erbhöfen zu tun, sondern mit Verantwortung und Politik, schreibt er unter der Überschrift „Gewiefter Schachzug ärgert die Konkurrenz“. Dr. Jana Krauß, bündnisgrüne Stadträtin unserer Fraktion, kommentiert den Kommentar und erläutert, warum nicht nur das gesamte Auswahlverfahren, sondern auch der ausgerufene Favorit beschädigt ist:

 

„Einfach so abzutreten, hätte zu Michael Wieler nicht gepasst“ – dieser Aussage Sebastian Beutlers kann ich uneingeschränkt zustimmen, ansonsten bietet seine Einordnung der Nachfolgerempfehlung für das Beigeordnetenamt durch den Noch-Amtsinhaber Dr. Wieler (14. März 2022) ausreichend Anlass, den Vorgang aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Wie politisch ist ein Beigeordnetenamt?

Ist das Amt des Bürgermeisters ein „politisches Wahlamt“, woraus sich ein politisch verantwortungsvolles Vorgehen Dr. Wielers ableiten ließe, wie Sebastian Beutler das tut? Zunächst: Dr. Wieler ist Beigeordneter des Bürgermeisters. Unser Bürgermeister ist Herr Ursu. Der Bürgermeister wird von den Bürgerinnen und Bürgern seiner Kommune gewählt, sein Beigeordneter vom Gemeinderat. Vom Bürgermeister kennen wir politische Anschauungen, Parteibuch etc. aus einem langwierigen Wahlkampf, d. h. er bekam aus politischer Motivation die Mehrheit der Stimmen. Die verwaltungsfachlichen Voraussetzungen zur Amtsausübung rangieren hier eindeutig hinter Politik. Deshalb könnte man das Amt des Bürgermeisters als „politisches Wahlamt“ bezeichnen. Vom Beigeordneten hingegen verlangt die Sächsische Gemeindeordnung die für das Amt erforderlichen fachlichen Voraussetzungen. Um sie gewährleisten zu können, werden vakante Beigeordnetenstellen ausgeschrieben, damit sich jeder und jede mit der entsprechenden fachlichen Eignung bewerben kann (gemäß GG Art. 33 Satz 2). Zu Recht bewertet die Gemeindeordnung die fachliche Eignung des Beigeordneten deutlich höher als die politische Motivation zur Amtseinführung und Amtsausübung. Darüber hinaus müssen Bewerber oder Bewerberinnen für das Beigeordnetenamt keine Aussagen zur eigenen Weltanschauung machen. Mit anderen Worten: Das Amt des Beigeordneten ist ein Wahlamt, aber kein politisches. Selbstverständlich ist es so, dass sich Politik schwer gänzlich aus dem Amt des Beigeordneten heraushalten lässt. Dennoch ist das soweit wie möglich angezeigt, schließlich handelt es sich weder beim Bürgermeister noch bei seinem Beigeordneten um eine kommunale „Regierung“; vielmehr ist ihr Auftrag, laufende Verwaltungsaufgaben zu erfüllen und Beschlüsse des Gemeinderats umzusetzen.

Welches Signal geht von Görlitz aus?

Werfen Linksfraktion und die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne Dr. Wieler vor, „den Auswahlprozess zum Stillstand gebracht zu haben, bevor er richtig losging“ (Zitat Sebastian Beutler)? Schwerlich. Man kann nichts zum Stillstand bringen, was noch gar nicht am Laufen ist. Zum zeitlichen Ablauf: Am 7. März gab Dr. Wieler seine Nachfolgerempfehlung ab. Am 11. März erst erfolgte die öffentliche Stellenausschreibung mit entsprechendem Anforderungsprofil auf der städtischen Seite. Weitere drei Werktage dauert es, bis sie auch auf Stellenportalen erschien. Wir haben kritisiert, dass der Prozess noch nicht begonnen hat und dennoch ein Kandidat von höchster Stelle empfohlen wird, was in unseren Augen mögliche Bewerberinnen und Bewerber abhält, sich überhaupt am Prozess zu beteiligen, nach dem Motto: Die Messe ist schon gelesen. Beteiligung ist aber inhärenter Bestandteil von Demokratie, von Entwicklung. Görlitz gibt hier ein schlechtes Signal nach außen: Wir wollen unter uns bleiben, weil wir ohnehin wissen, wie es geht. Wir wollen uns nicht auf Neues einstellen, das macht nur Probleme und führt zu Verzögerungen.

Von Wieler ins Amt gehoben?

Herr Beutler schreibt: Dr. Wielers „Hinweis auf die wahrscheinliche Kandidatur von Benedikt Hummel…“. Das ist mindestens eine interessante Formulierung. Die öffentliche Wahrnehmung war wohl ein andere und auch dem SZ-Beitrag vom 7. März ist zu entnehmen: Dr. Wieler empfiehlt Benedikt Hummel als geeigneten Nachfolger für das Beigeordnetenamt. War der „Schachzug“ Dr. Wielers „gewieft“, wie sich Herr Beutler ausdrückt? Nun, gewieft meint landläufig wohl so etwas wie schlau, gewitzt, sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassend. Mal abgesehen von der falschen Metapher – Schach wird gegen einen Gegner gespielt, dieser ist hier nicht vorhanden: Gewieft war dieses Vorgehen mit Sicherheit nicht, denn es hat Schaden angerichtet. Es stigmatisiert ausgerechnet den Kandidaten, dem man doch glaubt den „roten Teppich“ (Zitat Sebastian Beutler) auszurollen. Benedikt Hummel läuft Gefahr, das Label „von Wieler ins Amt gehoben“ zu tragen, was automatisch seine Kompetenzen untergräbt. Dieses Vorgehen zeigt auch, dass Dr. Wieler seinem empfohlenen Kandidaten nicht zutraut, dass dieser mit seinen Kompetenzen selbst überzeugen kann. Ich persönlich bedauere dies sehr, denn ich glaube, dass Benedikt Hummel es überhaupt nicht nötig hat, protegiert zu werden. Und schließlich beweist dieses Vorgehen wieder einmal, was Dr. Wieler von Stadträten hält. Nämlich nichts. Dr. Wieler zeigt ein durchaus beharrlich zu nennendes Verlangen danach, dem Stadtrat die lange Nase zu machen, ihn zu manipulieren, statt offen und nach Regeln mit ihm umzugehen. Auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit sieht anders aus.

Angst vor „Neuen“?

Es ist auch nicht so, wie der Kommentar Sebastian Beutlers suggeriert, dass bereits im Vorfeld des Besetzungsverfahrens die Empfehlung Dr. Wielers nötig wäre oder gar von Verantwortung getragen sei. Denn wie Sebastian Beutler selbst schreibt: Weitere Bewerber oder Bewerberinnen sind nicht bekannt. Mal abgesehen davon, hätte sich ja auch niemand bisher bewerben können. Vor welchen „Neuen“ haben Bürgermeister und Beigeordneter denn Angst? Weshalb sollte es nicht möglich sein, sich schnell einzuarbeiten in die wichtigen Projekte, um deren Steckenbleiben zu verhindern? Welche Projekte sind denn gemeint? Ich kenne jedenfalls keines, das ein Bürgermeister oder Beigeordneter ganz allein bearbeitet und dem niemand zur Seite stünde, der auch damit befasst ist. Solch eine Aussage spiegelt eher das fragwürdige Selbstbild vom unersetzbaren Beigeordneten.

Was wäre ein faires Verfahren?

Nun ist der „Schachzug“ schon vollbracht. Dennoch hilft es vielleicht für die Zukunft, einen Ablauf zu skizzieren, der nicht für Unmut gesorgt, die oben genannten Schäden vermieden hätte und fair und den Regeln entsprechend erfolgt wäre:

  1. Der Beigeordnete gibt bekannt, dass er für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung steht.
  2. Der Bürgermeister entwirft in gemeinsamer Diskussion mit dem Stadtrat die zukünftigen Aufgaben des Beigeordneten. Dies kann unter Umständen eine Neuverteilung der Dezernate zur Folge haben. Daraus ergibt sich das Anforderungsprofil für die Stellenausschreibung des Beigeordneten.
  3. Die Beigeordnetenstelle wird öffentlich ausgeschrieben.
  4. Bewerberinnen und Bewerber stellen sich nach Bewerbungsschluss im dafür vorgesehenen Gremium dem Stadtrat vor. Der aus dem Amt scheidende Beigeordnete gibt – sofern er dies möchte – dem Stadtrat eine fachlich begründete Empfehlung.
  5. Der Stadtrat wählt in öffentlicher Sitzung den Beigeordneten oder die Beigeordnete. Dabei ist selbstredend daran zu denken, dass dies im Einvernehmen mit dem Bürgermeister geschieht.

Wie gehen wir mit Macht um?

Wir als demokratische Gesellschaft haben uns Regeln gegeben, weil wir aus der Geschichte gelernt haben. Macht tendiert dazu, sich selbst zu erhalten, das ist menschlich und nachvollziehbar. Daher muss Macht hinterfragt, reguliert und kontrolliert werden und wechseln können. Umgehen wir die von uns selbst aufgestellten Regeln der Demokratie, dann umgehen wir automatisch auch die Demokratie. Und das kann nicht gut sein und schon gar nicht richtig. Offenheit, Transparenz, Teilhabe und eben auch Mut zu eventuellen Beschränkungen der Macht – davon lebt Demokratie. Das mag idealistisch klingen und das ist es auch. Aber vom Idealen ausgehend ins Realistische zu kommen, macht Möglichkeiten denk- und sichtbar. Das halte ich für entwicklungsfähiger als schulterzuckend die Realität zu akzeptieren und Neues zu vermeiden.

 

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