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Am Anfang ist Schweigen. Der Stadtrat steht geschlossen auf. Eine Minute Stille für Frieden in der Ukraine.

Angesichts der Bilder von Leid und Zerstörung vor unserer Haustür kommen mir Diskussionen um kommunale Themen luxuriös vor. Ein Luxus der Demokratie. Ich gehe an diesem Tag bewusster in die Stadtratssitzung. Was für uns Normalität ist, die Mitbestimmung und das Recht auf freie Meinungsäußerung, ist für Menschen in vielen Teilen der Welt unerreichbar, teilweise lebensgefährlich.

Nach der Schweigeminute informiert uns OB Ursu über die Ukraine-Hilfe in Görlitz. Diese wird von vielen gesellschaftlichen Kreisen organisiert, zum Beispiel über das Büro der Bündnisgrünen aber auch von kirchlichen und wohltätigen Organisationen. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Katja Knauthe bemüht sich nach Kräften, aus dem Rathaus zu unterstützen. Der OB bespricht sich derweil mit den Freunden in Zgorzelec, welche Hilfe benötigt wird. Er geht davon aus, dass die Flüchtlinge eher große Städte und westdeutsche Regionen aufsuchen. Bislang gebe es kaum Ankünfte in Görlitz. Mir persönlich fehlt ein Signal des Oberbürgermeisters. Wir sind Europastadt. Niemand ist geografisch näher an diesem Krieg in Deutschland. Wer wenn nicht wir sollte deutliche Signale senden: „Wir wollen helfen. Wir nehmen Flüchtende auf.“ Natürlich gibt es rechtliche Regelungen, wie die „Zuteilung“ von Kriegsflüchtlingen abläuft. Görlitz kann mehr.

Danach geht es um das friedliche Miteinander von Ruhesuchenden und Feierlaunigen am Berzdorfer See. Dazu hat es Gespräche der Anrainergemeinden mit Veranstaltern und sowie Hoteliers gegeben. Ergebnis: Pro Saison sollen nur an vier Wochenenden Veranstaltungen bis 2 Uhr genehmigt werden, ansonsten ist spätestens Mitternacht Zapfenstreich. Die Lautstärkeregler müssen aber bereits nach 22 Uhr nach unten gehen. Damit die Hotels ihre Gäste frühzeitig auf mögliche Ruhestörungen hinweisen können, sollen geplante Veranstaltungen des Folgejahres bis Ende November feststehen. Ein gutes Miteinander am Berzdorfer See ist wichtig, entsprechend sind Gespräche wertvoll und werden hoffentlich zu einem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen am See führen.

 

In der Fragestunde für Bürger bleibt es überschaubar. Marcus Kossatz von den Görlitzer Bündnisgrünen fragt nach der ökologischen Sanierung der Stadthalle. Gerade durch die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine und auf dem Energiemarkt befürchtet er, dass die geplante Gasheizung enorme Betriebskosten verursachen wird, wenn wir aufgrund unterlassener energetischer Sanierung unnötige Wärmemengen aus dem Gebäude verlieren. Bürgermeister Michael Wieler erklärt, dass die Planungen und Berechnungen nach den gängigen Standards erfolgt sind und tut sich schwer damit, jetzt über Änderungen nachzudenken. Görlitz sei auch davon abhängig, was förderfähig ist. Kommt aber bereits beim Aussprechen des Satzes zur Erkenntnis, dass es eine neue Bundesregierung gibt. Und ja: Es ist schwer vorstellbar, dass eine nichtenergetische Sanierung, die eine umwelt- und kostenunfreundliche Gasheizungsanlage beinhaltet, zu Jubelstürmen in Berlin führt. Dementsprechend ist es sinnvoll, jetzt mit dem Fördermittelgeber ins Gespräch zu kommen. Das muss ohnehin geschehen. Denn – wie wir später auf Nachfrage erfahren – ist die Hoffnung auf einen Vorsteuerabzug nicht in Erfüllung gegangen. Das Finanzamt hat nicht zugestimmt. Damit fehlen nach der aktuellen Kostenprognose rund 5 Millionen Euro für die Sanierung. Görlitz hat dieses Geld nicht und möchte nun bei Bund und Freistaat um einen Nachschlag zu den bereits avisierten 36 Millionen Euro bitten. Aus unserer Sicht kann das nur funktionieren, wenn die Planungen nochmals angefasst werden. Ein Denkmal wie die Stadthalle energetisch zu sanieren – das hätte Vorbildcharakter und würde neue Möglichkeiten bei der Förderung bieten. Ob es dazu kommt? Zumindest baut Bürgermeister Wieler in Sachen ökologische Sanierung eine Brücke. Marcus Kossatz darf seine Fragen schriftlich einreichen, damit das Rathaus sich inhaltlich damit beschäftigen kann.

 

In der Fragestunde für Stadträte stehen die Bäume im Mittelpunkt. Es geht um Baumfällungen und die neue Baumschutzsatzung. Bürgermeister Wieler erläutert, dass sich nur ein Rathaus-Mitarbeiter um Bäume und Gehölze kümmert. Das hören wir bei vielen Themen und bereitet unserer Fraktion zunehmend Sorgen. Intakte Stellvertreterregelungen sind für einen funktionierenden Betrieb unerlässlich. Das gehört zu einem Personalkonzept, das im August 2019 beim Amtsantritt von OB Ursu versprochen wurde. Wir warten immer noch darauf. Doch zurück zur Baumschutzsatzung: Sie soll im Frühjahr von „Trägern öffentlicher Belange“ bewertet werden. Danach plant der OB die Satzung in einer bürgerschaftlichen Beteiligung in den Ortschafts- und Bürgerräten zu behandeln. Im Idealfall soll die Satzung noch vor der neuen Baumfällsaison im Oktober beschlossen werden. Das Thema liegt unserer Fraktion am Herzen. Jana Krauß von den Bündnisgrünen hatte einen eigenen Antrag für mehr Gehölzschutz zurückgezogen zugunsten der städtischen Satzung. Das war bereits im März 2021…

 

Es folgt ein Bericht der Görlitzer Kulturservicegesellschaft. Das städtische Unternehmen ist ganz gut durch die schwierigen Pandemiezeiten gekommen. Eine schwarze Null wird unter der Jahresbilanz 2021 stehen. Für die kommende Zeit hofft das Team um Maria Schulz und Benedikt Hummel auf eine Normalisierung, um wieder die gewohnten Veranstaltungen wie Altstadtfest und Christkindelmarkt anbieten zu können. Dafür drücken wir wohl alle die Daumen.

 

Einen Bericht bekommen wir auch zum Wochenmarkt. Rund ein Jahr ist die Deutsche Marktgilde als Pächter zuständig.  Katrin Schiel, zuständige Vertreterin für Görlitz, gibt uns einen Einblick. Es läuten direkt die Alarmglocken: Die Händler sind unzufrieden wegen der hohen Standgebühren (höher als in Dresden) und weiteren unattraktiven Bedingungen, wie dem langen Weg zur Toilette im City Center. Infolge der zweijährigen Corona-Krise haben viele Händler aufgegeben. Die verbleibenden Akteure streben auf Märkte mit hohem Potential und kehren Görlitz teilweise den Rücken. So konnten im vergangenen Jahr auch kaum langfristige Standverträge abgeschlossen werden. Nur ca. 10 Prozent von rund 70 „Stammhändlern“ haben einen festen Vertrag.

Die Vertreterin der Deutschen Marktgilde stellt uns verschiedene „Visionen“ vor, wie das Görlitzer Markttreiben besser werden soll. So könnte es an einem festen Wochentag einen Markt bis in die Abendstunden geben. Inklusive Bierausschank und Auftritten von Musikern. Leider hat die Marktgilde darüber weder mit Händlern gesprochen, noch möchte sie Geld für die Bezahlung der Künstler investieren. Frau Schiel hofft darauf, dass Nachwuchsmusiker ohne Gage auftreten. Da werden die Interessenten sicher Schlange stehen. Nennenswerte Marketingaktivitäten gibt es nicht von der Deutschen Marktgilde. Lediglich an einer Website wird gearbeitet, auf der sich die Händler in Zukunft präsentieren können.

Unsere Fraktion ist sich nach der Sitzung einig: Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie unser Mark zusehends unattraktiver wird, sowohl für Händler als auch für Kunden. Es braucht mehr als einen jährlichen Bericht vor dem Stadtrat. Unsere Position ist klar: Die Marktgilde kannte die Rahmenbedingungen, als sie sich auf die Betreibung des Wochenmarktes bewarb. Sowohl was die Anzahl der Markttage angeht als auch die Höhe der Pacht und der Zustand des Geländes. Das Unternehmen hätte sich nicht bewerben müssen. Nach Zuschlagserteilung weniger Markttage und eine geringere Pacht zu fordern, ist unredlich. Insgesamt scheint mir, dass das wirtschaftliche Interesse der Marktgilde über allem steht. Die Preise für die Händler wurden im Vergleich zum ehemaligen Pächter Francois Fritz deutlich erhöht. Interessant in diesem Zusammenhang: Bis Mitte Juli 2021 gab es von der Stadt einen coronabedingten Nachlass von 37 Prozent bei der Pacht. Diese Kostenminderung wurde nicht an die Händler weitergereicht in Form von günstigeren Standgebühren. Nicht einmal anteilig.

Wie weiter? Die Marktgilde ist als Pächter noch zwei Jahre für den Wochenmarkt verantwortlich. Wir sollten diese Zeit nutzen und langfristig planen: Wie gestalten wir den oberen Elisabethplatz? In welchem Zeitraum erfolgt die Sanierung? Wohin weicht in der Bauphase der Wochenmarkt aus? Wie können wir Marktgilde und Händler dabei unterstützen, dass der Wochenmarkt attraktiv, vielfältig und gut besucht wird? Und: Wollen wir mit diesem Vertragspartner auch über die drei Jahre hinaus zusammenarbeiten? In einem ersten Schritt wäre es sinnvoll, sich ein Stimmungsbild der Händler einzuholen.

Wir kommen zu Beschlussfassungen:

Schwarze Null auf dem Friedhof
Der Wirtschaftsplan des Eigenbetriebs Friedhof für 2022 wird einstimmig angenommen. Größte Investition wird in diesem Jahr der Aufzug am Krematorium. Personell werden Neubesetzungen nötig, weil Kollegen in Rente gehen. Der Eigenbetrieb ist insgesamt in einer soliden Lage. Bis 2025 wird jeweils mit ausgeglichenen Betriebsergebnissen gerechnet. Herzlichen Dank an Evelyn Mühle und ihr Team für die nimmermüde Arbeit in den kräftezehrenden letzten beiden Jahren.

 

Widmung für Investitionen
Im Gewerbegebiet Klingewalde wird die Straße „Klingewalder Höhe“ gewidmet. Das ist Voraussetzung, damit die Bauarbeiten beginnen. Als erstes wird wohl der Zoll loslegen. Bei der zweiten Ansiedlung für das Projekt „Bauen 4.0“ fehlen noch Vertragsunterlagen der TU Dresden.

 

Altersschwache Server
Wegen einer IT-Havarie braucht die Stadtverwaltung neue Server- und Storage-Systeme. Die für 2023 geplanten 174.000 Euro müssen wir schon jetzt lockermachen. Dazu kommen weitere 100.000 Euro Havariekosten, die aus nicht verbrauchten Haushaltsmitteln genommen werden. Die Havarie trat im Oktober 2021 ein, ausgerechnet bei der Installation einer Netzersatzanlage, die ein Sterben von Servern nach Stromausfall verhindern soll. Bei der Installation mussten die Server erstmals seit Jahren heruntergefahren werden. Die altersschwachen Teile wachten nicht mehr auf. Beachtlich ist, wie lange die Umsetzung des Projektes „Netzersatzanlage“ dauerte. Beschlossen wurde der Bau im Juli 2020. 15 Monate für ein „Trafohäuschen“? Die Verwaltung verweist auf Lieferengpässe. Einige elektronische Bauteile seien bis zu zehn Monate nicht verfügbar gewesen. Das stimmt sicher. Erklärt aber nicht, warum es vom Baubeschluss bis zur Vergabe der Leistungen neun Monate dauerte.

 

Bahn bleibt Weinhübel vorerst erhalten
Dann unser Highlight: Der Bahnhalt in Weinhübel beschäftigt unsere Fraktion seit 2020. Nun endlich kommen wir zu einer Beschlussfassung, die mehrheitsfähig ist. In enger Abstimmung mit Bürgermeister Michael Wieler legen wir einen Antrag vor, dem der Stadtrat fast einstimmig folgt. Lediglich Andreas Zimmermann (CDU) votiert dagegen. Mit dem Beschluss erklären wir unseren politischen Willen: Ja zum Neubau eines Haltepunktes am Berzdorfer See auf Höhe Deutsch Ossig und Ja zum Erhalt des Haltepunktes Weinhübel. An beiden Stationen sollen künftig Züge anhalten. Nur wenn es aus nachvollziehbaren bahntechnischen Gründen nicht geht, geben wir dem Haltepunkt Deutsch Ossig den Vorzug. Bis es soweit ist, vergehen noch bis zu fünf Jahre. In dieser Zeit ändert sich am Status Quo für den Haltepunkt Weinhübel zunächst nichts.

Warum brauchte es das Votum?

Die Stadt muss den Bau einer Bahnstation am Berzdorfer See neu beantragen. Der letzte Beschluss des Stadtrates sah 2020 vor, Fördermittel für den Halt am Berzdorfer See und für den Abriss der Station in Weinhübel bei der Bahn zu beantragen. Der Rückbau ist nicht mehr nötig. Die Bahn hatte Ende 2021 mitgeteilt, dass der Haltepunkt Weinhübel mit seiner kompletten Infrastruktur erhalten bleiben kann.

Was haben wir von dem Beschluss?

  1. Grundsätzlich ist jede Station an einer Zugstrecke von Vorteil. Man kommt schneller und bequemer von A nach B. Über Umweltaspekte müssen wir nicht reden. Wer heute freiwillig einen Haltepunkt der Bahn aufgibt, lebt in einer anderen Zeit.
  2. Der Bedarf ist vorhanden, auch wirtschaftlich. Dazu liegen Schreiben der großen ansässigen Einrichtungen vor: Kühlhaus mit seiner touristischen Infrastruktur, Görlitzer Werkstätten mit über 300 Mitarbeitern, die Kinder, Eltern und Lehrer der DPFA-Regenbogengrundschule, aber auch von kleineren Betrieben und dem Bürgerrat Weinhübel gibt es solche Stellungnahmen. Die Nutzerzahlen haben sich seit dem ersten Beschluss zur Aufgabe der Station Weinhübel im Jahr 2011 mehr als verdoppelt – obwohl im selben Zeitraum die Einwohnerzahl Weinhübels deutlich geschrumpft ist und die letzte Zählung im Corona-Jahr 2020 stattfand.
  3. Finanziell ist es besser, die Bahnstation zu erhalten. Fällt sie weg, muss ein Busersatzangebot geschaffen werden. Während der Bahnbetrieb über Freistaat und ZVON finanziert werden, zahlt Görlitz eine zusätzliche Busstrecke allein.

Danke an den Stadtrat für die große Einmütigkeit. Das ist ein gutes Signal an die Bahn und den ZVON.

 

Defibrillatoren für Laien
Die Linken bringen ebenfalls einen Beschlussantrag ein. Sie möchten, dass die Verwaltung bis April ein Konzept zur Aufstellung von öffentlich zugänglichen Defibrillatoren erarbeitet und ab Juni mit der Umsetzung beginnt. Damit sollen bessere Hilfeleistungen bei plötzlich auftretendem Herzkreislaufstillstand möglich werden. Jana Krauß bedankt sich für unsere Fraktion für den Antrag. Dieses wichtige Thema muss stärker ins Bewusstsein der Stadtgesellschaft. Jana weiß aus leidvoller Erfahrung, wovon sie spricht. Möglicherweise würde ihr Mann noch leben, hätte es öffentlich zugängliche Defibrillatoren gegeben.

Die Stadtverwaltung sieht sich bei allem guten Willen aber außerstande, den Beschluss umzusetzen. Vor allem ist die Zeitschiene zu kurz, es braucht eine begleitende Kampagne und es fehlt an Geld im Haushalt. Die Rathausspitze schlägt einen Kompromiss vor. In einem ersten Schritt wird recherchiert, welche Einrichtungen und Unternehmen an einem leistungsfähigen Defi-Netz in Görlitz mitwirken könnten und sich auch an einer Kampagne beteiligen würden. Die Ergebnisse sollen im vierten Quartal vorgestellt werden. Danach sehen wir weiter. Guter Vorschlag sagt der Stadtrat und stimmt somit einem Antrag der Linken einstimmig zu. Kommt auch nicht alle Tage vor.

 

AfD-Wirt gibt auf
Zum Abschluss stimmen wir dem Austrittsgesuch von Sven Vetter (AfD) zu. Der Gastronom aus Kunnerwitz sieht sich wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, seinem Ehrenamt nachzugehen. Ihm folgt als Nachrücker Gerald Rosal. Der Görlitzer Regionalgruppenleiter der rechtsextremen Partei hatte bei der Wahl 2019 lediglich 141 Stimmen – das dürfte absoluter Minusrekord für einen Stadtrat sein.

Rekordverdächtig ist auch die Sitzungsdauer. Diesmal aber auf angenehme Art. Pünktlich zum Sandmann ist Schluss.

 

Autor: Mike Altmann

Foto: Görlitzer Wochenmarkt, aufgenommen am 27.2.2021

Ich darf wieder rein. Nachdem mich eine Kontaktpersonenquarantäne an der Teilnahme der Sondersitzung zur Oberschule hinderte, freue ich mich auf ein paar Stunden Kommunalpolitik. Unsere Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne legt zu Beginn der Sitzung ausnahmsweise den Rückwärtsgang ein. Unser Antrag, mit dem wir die Bahnstation Weinhübel retten wollen, geben wir zurück in die Ausschüsse. Es gibt noch einigen Redebedarf. Dazu informieren wir demnächst auch ausführlich.

OB Ursu verkündet anschließend einige wichtige Punkte. Neben der erfreulichen Übergabe der Rettungswache am Berzdorfer See gibt es schlechte Nachrichten von der GVB. Geschäftsführer Andreas Trillmich muss aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Ein herber Verlust für die junge Verkehrsgesellschaft. Die Lücke füllen soll zunächst Prokurist Sven Sellig. Beratend zur Seite stehen wird ihm Ex-OB Siegfried Deinege, um insbesondere die Beschaffung der neuen Stadtbahnen zu organisieren. Danke Andreas Trillmich, alles Gute für die Zukunft, insbesondere gesundheitlich. Toi, toi, toi ans neue Führungsteam und die gesamte GVB.

 

Welterbe-Bewerbung

Bürgermeister Michael Wieler berichtet zum Stand der Bewerbung für das UNESCO-Welterbe. Rückblick: 2014 war die Görlitzer Bewerbung zurückgestellt worden. Die Jury gab den Hinweis, sich nicht nur auf die Hallenhäuser und die Altstadt zu fokussieren. Vielmehr sollte Görlitz seine ganz eigene Geschichte erzählen. Diese heißt nun „Ein Architekturensemble von Kaufleuten an der Via Regia“. Dargestellt wird das zentraleuropäische Handelswesen in der frühen Neuzeit. Also die Entwicklung des Fernhandels, in deren Folge die Hallenhäuser entstanden. Görlitz wird die Bewerbung in den kommenden Tagen beim Freistaat abgeben. Im Herbst gehen die Vorschläge an den Bund – hier ist Görlitz in jedem Fall dabei, da die ursprüngliche Bewerbung 2014 nicht abgelehnt, sondern zurückgestellt wurde. Erst im Herbst 2023 entscheidet die deutsche Kultusministerkonferenz welche Projekte auf die UNESCO-Vorschlagsliste kommen. Michael Wieler ist optimistisch, dass es klappt. Schließlich hat man sich einen internationalen Experten an die Seite geholt, der bereits neun erfolgreiche Welterbe-Bewerbungen begleitet hat. Das Gebiet des geplanten UNESCO-Welterbes umfasst übrigens die Altstadt bis zum Kaisertrutz und reicht bis in die Nikolaivorstadt. Begleitet werden soll die Görlitzer UNESCO-Bewerbung durch eine Ausstellung in der Galerie auf der Brüderstraße. Drücken wir die Daumen. Der Welterbe Titel wäre unschätzbar für die Entwicklung von Görlitz als touristische Destination und verdienter Lohn für den Schutz und Wiederaufbau des historischen Stadtkerns. Müssen wir Angst haben, dass es als UNESCO-Welterbestätte keine Entwicklung mehr gibt? Nein, sagt Michael Wieler und verweist auf Stralsund und Lübeck, wo mit Ozeaneum und Hansemuseum zwei moderne Objekte in Abstimmung mit der UNESCO errichtet wurden. In Görlitz könnte dies auch geschehen, wenn man an das Kondensatorenwerk an der Neiße denkt, das künftig für das CASUS-Institut umgebaut werden soll. Die Bewerbung von Görlitz als UNESCO-Welterbestätte kostet pro Jahr etwa 100.000 Euro. Ein sinnvolles Investment, wie ich finde.

Premiere bei der Bürgerfragestunde: Es gibt keine Fragen. Dafür haben die Stadträte einiges auf dem Herzen.

Yvonne Reich (BfG) möchte vor dem Beschluss zum Haushalt einen Zuschuss für die Helenenbad-Betreiber. Die Kinderbadelandschaft muss vorbereitet werden. Bislang bekam der AUR e.V. als Betreiber einen Jahreszuschuss von 30.000 Euro. Das ist auch für 21/22 im Haushaltsentwurf eingeplant. Allerdings wird der Etat nicht vor dem Sommer genehmigt sein. Einziger Weg ist ein sogenannter Mittelvorgriff, den der Stadtrat beschließen kann. Wenn das rechtlich möglich ist, stehen wir dem Vorschlag positiv gegenüber. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist es ein schöner Erholungsort in der Stadt. Vielleicht sind wir in der Mai-Sitzung schon schlauer.

Fraktionskollege Danilo Kuscher (Motor Görlitz) erkundigt sich nach der Verzögerung bei der Fußgängerbrücke auf der Blockhausstraße. Diese soll während der Brückenbauarbeiten die Verbindung von und zur Goethestraße sichern, kommt nun aber mit zehn Wochen Verzögerung. Glück im Unglück: Da die gesamten Bauarbeiten deutlich später starten, wird sich dieses Problem von selbst lösen. Heißt: Anwohner müssen nicht über einen Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um etwa von der Bahnhofstraße zum Arzt auf der Goethestraße zu gelangen. Ursache für die Lieferschwierigkeiten der Fußgängerbrücke ist die Lage auf dem Rohstoffmarkt. Engpässe und explodierende Preise  – wie stellt sich die Stadtverwaltung darauf ein, wenn es um künftige Bauvorhaben geht, möchte Danilo wissen. Bürgermeister Wieler sieht wenig Optionen. Im Vorfeld von Ausschreibungen gibt es aktuelle Kostenschätzungen. Mehr könne man nicht machen.

Nachdem es im März nicht mit einer konkreten Antwort geklappt hatte, wiederhole ich meine Frage, wann der OB ein Personalentwicklungskonzept vorlegt. In einer der nächsten Sitzungen des Verwaltungsausschusses soll es soweit sein. Ich bin gespannt.

Wieviel kostet eigentlich der Betrieb einer öffentlichen WC-Anlage? 12.000 Euro. Teurer kann es werden, wenn Vandalen hausen. Wie immer wieder in der Apothekergasse. Dort ist seit einiger Zeit schon „Eintritt frei“. Die Versuche von Dieben, an die Münzen zu kommen, haben so hohe Schäden verursacht, dass es günstiger ist, erst gar keine Einnahmen zu erzielen. Traurige Welt.

 

Dann kommen wir zu den Beschlüssen:

Einstimmig beschließen wir, dass die Kita Samenkorn im Haus Wartburg mit Hilfe von Fördermitteln saniert und umgebaut wird.

Für den Bau der Kita Fichtestraße geht der Auftrag an die TBN Terminbau Niesky GmbH.

Das fortgeschriebene Einzelhandelskonzept (EHK) wird ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen. Der Titel führt in die Irre. Es handelt sich nicht um ein Entwicklungs-Konzept. Eher um einen Stadtplan, der zeigt, in welchen Gebieten von Görlitz welche Verkaufseinrichtungen angesiedelt werden können.

Mit Spannung erwartet wurde vor der Sitzung die Wahl des oder der Beauftragten für Kinder, Jugend und Familie. Neben dem seit fast zehn Jahren amtierenden Eugen Böhler bewarb sich Dr. Ines Mory. Sie stammt aus Pasewalk und lebt seit einigen Jahren in Görlitz. Ines Mory ist promovierte Theologin und arbeitet jetzt als Lehrerin in Herrnhut. In geheimer Abstimmung wird sie zur neuen Beauftragten gewählt. Frau Mory erhält 19 Stimmen, Eugen Böhler 16. Meine Kollegin Kristina Seifert (Bündnisgrüne) bedankt sich namens unserer Fraktion beim bisherigen Familienbeauftragten für sein Engagement und wünscht der Nachfolgerin viel Erfolg. Außerdem regt sie an, dass wir das Verfahren ändern. Eine solch wichtige ehrenamtliche Position sollte demnächst öffentlich ausgeschrieben werden, damit auch alle Interessierten davon Kenntnis bekommen und sich bewerben können. Bei der nun abgeschlossenen Berufung von Frau Mory gab es ein internes Verfahren, bei dem die Fraktionen Vorschläge unterbreiten konnten. Leider war selbst das Lokale Bündnis für Familie nicht eingebunden.

Es folgt eine längere Prozedur, bei der Ausschüsse und Gremien neu besetzt werden müssen aufgrund der Wechsel in der AfD-Fraktion.

Höhepunkt der politischen Debatte ist die Frage: Übernachtungssteuer oder Gästetaxe? Zwei ähnlich gelagerte Anträge liegen vor. Bürger für Görlitz wollen eine „Kulturförderabgabe“, Motor/Grüne eine „Gästetaxe“. Dahinter steckt jeweils der Plan, dass Görlitz von Übernachtungsgästen Geld einnimmt. Warum solche Anträge nicht im Vorfeld abgestimmt werden, so dass nicht zwei zum selben Thema vorliegen? Man muss davon wissen. Deshalb reicht unsere Fraktion ihre Anträge nicht nur bei der Verwaltung ein, sondern informiert parallel alle Fraktionen. Bei diesem Thema waren BfG „schneller“, haben aber diese Information nicht weitergegeben. Somit gab es einige Tage später einen zweiten Antrag unserer Fraktion. Anfang April erklärten die Beteiligten den Willen, sich Zeit zu nehmen, in Ausschüssen zu beraten und sich auf einen Antrag zu verständigen, der im Stadtrat behandelt wird. Davon ist wenig später nichts mehr zu spüren. Die BfG ändern ihren Antrag inhaltlich. Kulturförderabgabe steht nur noch in der Überschrift. Etikettenschwindel. Es geht ihnen um eine reine Übernachtungssteuer, die sie auch unbedingt im April beschließen möchten. Somit stehen die zwei Anträge auch auf der Tagesordnung.

Um es vorwegzunehmen: Gegen die Empfehlungen von Tourismusverbänden und IHK beschließt der Görlitzer Stadtrat mit 18:17 die Einführung einer Übernachtungssteuer ab 2022. Eine Gästetaxe, wie von Motor Görlitz/Bündnisgrüne vorgeschlagen, ist damit durchgefallen. Gemeinsames Ziel beider Anträge: zusätzliche Einnahmen im Umfang von etwa 500.000 Euro pro Jahr. Wesentlicher Unterschied: Die Übernachtungssteuer fließt komplett in den Haushalt und kann somit auch für Bürobedarf der Verwaltung ausgegeben werden. Der Erlös aus einer Gästetaxe ist dagegen zweckgebunden und darf nur für touristische Zwecke ausgegeben werden.

In der Debatte betont unsere Fraktion, dass wir Einnahmen von Übernachtungsgästen wollen. Dass Hotels und Pensionen für uns dieses Geld einnehmen sollen. Die Akzeptanz für einen solchen Aufwand steigt, wenn man weiß, dass das Geld in touristische Angebote fließt. Ohne diese Akzeptanz bekommen wir schlechte Stimmung. Darauf hatten mehrere Seiten im Vorfeld der Sitzung hingewiesen. Die IHK schrieb in einer Stellungnahme, dass sie grundsätzlich eine Übernachtungssteuer ablehnt, „da sie in den allgemeinen Haushalt fließt und eine Belastung der Beherbergungsbetriebe darstellt, die in keinem Verhältnis zu den ökonomischen Effekten für den Tourismus steht.“ Wenn überhaupt, so die IHK, wäre man zu einem späteren Zeitpunkt und bei frühzeitiger Einbindung der touristischen Anbieter mit einer Gästetaxe einverstanden. Auch der Tourismusverein hatte gefordert, dass man gemeinsam mit den touristischen Anbietern die unterschiedlichen Ansätze umfassend prüft und bewertet. Diesen Gesprächswünschen hätte der Stadtrat leicht zustimmen können. Allerdings lehnte eine Mehrheit unseren Antrag ab, beide Vorlagen in die Ausschüsse zu verweisen. In der entscheidenden Abstimmung votieren dann 18 Stadträte für die Übernachtungssteuer der BfG, 17 sind dagegen. Die entscheidende Stimme für die Übernachtungssteuer kommt von Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU).

Die Debatte ist bemerkenswert. Zum einen umgeht die Verwaltung ihre Pflicht, den Stadträten umfassende Informationen für ihre Entscheidung zur Verfügung zu stellen. Ausführlich reden darf nur der Mitarbeiter aus dem Amt für Stadtfinanzen, der die Übernachtungssteuer empfiehlt. Nicht zu Wort kommt jedoch die fachlich zuständige Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH. Weil sie sich für eine Gästetaxe ausspricht? Bemerkenswert auch einige Redebeiträge. Bürgermeister Michael Wieler verweist darauf, dass die Stadt seit 15 Jahren Millionen für die EGZ einsetzt, „ohne dass die Tourismuswirtschaft hier einen Cent direkt dazu beiträgt.“ Über die EGZ werde an 365 Tagen im Jahr eine Tourist-Info betrieben. „Wenn wir jetzt darüber nachdenken wollen, wie wir ein paar hunderttausend Euro für den Tourismus verwenden wollen, dann sind wir etwas fehlgeleitet. Wir haben viel für den Tourismus getan, wir haben die Stadt attraktiv gemacht, gemeinsam mit privaten Investoren und das können wir den Hoteliers und Gastronomen sagen.“ Starke Worte in Richtung einer Branche, die wie kaum eine andere durch die Corona-Pandemie gebeutelt wurde.

In ein ähnliches Horn stößt Prof. Joachim Schulze von der BfG-Fraktion. Er bezeichnete die Ablehnung der Übernachtungssteuer durch den Landestourismusverband als Lobbyismus: „Es geht letztlich um die Kontrolle der Einnahmeverwendung, die man gern im eigenen Tätigkeitsfeld haben möchte. Eine Privilegierung einer Branche für die Mitbestimmung erschließt sich mir nicht.“ Hundebesitzer dürften schließlich auch nicht entscheiden, wofür die gezahlte Hundesteuer verwendet wird. Unpassender Vergleich. Zur Hundesteuer gibt es keine rechtliche Alternative. Zur Übernachtungssteuer schon. Mit der Gästetaxe können Kommunen den Erlös zweckgebunden verwenden. Ob für die Tourismus-Information oder neue Toiletten, ob für Investitionen am Berzdorfer See oder Veranstaltungen wie das ViaThea – das Geld fließt in touristische Infrastruktur und Angebote. Mit klugen Beteiligungsverfahren hätten wir Akteuren aus dem Tourismus ein Mitspracherecht ermöglichen können, etwa im Rahmen eines Beirates. Dass ausgerechnet Prof. Schulze als ein geistiger Vater der Bürgerbeteiligung in Görlitz darin eine Beschneidung des Stadtrates  sieht, ist erstaunlich.

Ein weiteres Argument von Herrn Professor Schulze: Die Gästetaxe sei ein „Bürokratiemonster“. Erstaunlich, dass dennoch 53 sächsische Kommunen eine Gästetaxe haben. Nur in Dresden gibt es eine Übernachtungssteuer. Handelt es sich denn tatsächlich um „Bürokratie“? Es geht eher um kaufmännische Pflichtaufgaben. Was bieten wir in Görlitz den Touristen an? Was kostet das? Zu welchem Anteil werden die Angebote von Gästen genutzt? Das ist keine Bürokratie, sondern notwendige Basis für die strategische Entwicklung des Tourismus. Und zwar völlig unabhängig davon, ob man eine Gästetaxe einführen möchte. Dies war ein wesentlicher Punkt warum sich die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne für das Modell entschieden hatte. Einer Übernachtungssteuer, die ohne Gegenleistungen für Gäste und Tourismusbetriebe eingezogen wird und im großen Haushaltstopf landet, werden wir auch zukünftig nicht zustimmen.

 

Zum Abschluss wird es heiter. Wir beschäftigen uns mit einem Antrag der Fraktion Die Linke. Sie möchte SZ-Abos für alle Stadträte. Es ist eine Vorlage mit Augenzwinkern, die eigentlich thematisiert, dass man wichtige Infos der Verwaltung häufig zuerst aus der Zeitung erfährt. Meine Co-Fraktionsvorsitzende Dr. Jana Krauß schätzt ein, dass das Thema sicherlich interessant ist für eine Debatte aber „die nötige Tiefe“ für einen Beschlussantrag fehlt. Am Ende stellt sich die Frage, ob denn zumindest die zwei anwesenden Räte der Linken ihrem eigenen Antrag zustimmen. Das erledigen sie tapfer. Mehr Befürwortung gibt’s nicht.

Und nochmal Die Linke. Sie beantragen, dass sich die Verwaltung mit der Frage beschäftigt, ob man das Schlachthofgelände kaufen könne. Auch um das Nostromo langfristig zu erhalten. Die Entwicklung hat den Antrag überholt. Es gibt mittlerweile einen ominösen Kaufinteressenten, der wohl im Interesse von Stadt und Nostromo das Areal erwerben möchte. Der Tanztempel würde einen langfristigen Pachtvertrag bekommen, die Stadt wiederum ein Vorkaufsrecht für das Gelände. Bislang kennt niemand den Namen des „Weißen Ritters“. Und das wird auch noch so bleiben, bis der Vertrag in trockenen Tüchern ist. Aktueller Stand: Verkehrswertgutachten Schlachthof ist in Arbeit, das bildet Grundlage für Vertrag, Gespräche werden fortgesetzt. Die Linke zieht ihren Antrag zurück. Notfalls kann er wieder ausgepackt werden, falls der Verkauf nicht zustande kommt. Ausdrücklich unterstützt unsere Fraktion die in der Vorlage gewünschte bürgerschaftliche Beteiligung bei der Frage: Wie soll das alte Schlachthofgelände künftig genutzt werden? Ein Katastrophenschutzzentrum mit Feuerwehr, wie zuletzt von Bürgermeister Wieler vorgeschlagen? Das bedeutet: Zaun drum. Wollen wir das an dieser exponierten Stelle in der Innenstadt? Man sollte zumindest ausführlich darüber reden – mit weit geöffneten Türen, Köpfen und Herzen. Wie über so vieles in unserer schönen Stadt. Kommt gut in den Mai.

 

Text: Mike Altmann

Seit einem Jahr tagt der Stadtrat in der Sporthalle an der Jägerkaserne. Ein trauriges Jubiläum. Der Ratssaal ist zwar nicht schön und bissel muffig – aber die Sporthalle würde ich gern wieder den Vereinen und Schulen überlassen. Würfe statt Worte. Tore statt Tagesordnung. Wir erheben uns zu Beginn der Sitzung für die Toten der Pandemie in Görlitz. Stille.

Danach wird es freudig. Mein Fraktionskumpel Danilo Kuscher darf ins Theater gehen. Er bekommt vom OB einen Gutschein. Happy Birthday, Großer.

Anschließend erklärt OB Ursu, dass der Tagesordnungspunkt zum Neubau der Oberschule abgesetzt wird. Der Verwaltungsausschuss hatte empfohlen, die vielen offenen Fragen zunächst in den Ausschüssen zu klären, bevor der Stadtrat darüber entscheidet. Es gibt dazu eine Sondersitzung des Ausschusses Kultur, Bildung, Soziales und Migration am Montag. Am Dienstag beschäftigt sich der Verwaltungsausschuss nochmals damit. Nach Ostern soll es eine Sondersitzung des Stadtrates geben. Wir wollen trotz der katastrophalen Haushaltslage den Neubau nicht aufgeben, denn die vier Görlitzer Oberschulen sind jetzt schon am Limit. Hoffentlich finden wir gemeinsam eine Lösung. Es hat für uns oberste Priorität.

Nach § 52 Sächsische Gemeindeordnung ist der OB verpflichtet, den Stadtrat über alle wichtigen Dinge zu informieren, die die Stadt betreffen. Dazu gehört nach unserer Auffassung zwingend die aktuelle Haushaltslage und deren künftige Entwicklung. Leider erfolgt auch in dieser Sitzung die Information nicht. Begründung: Der Verwaltungsausschuss berät zunächst nichtöffentlich über einzelne Punkte, bevor der Haushaltsentwurf für 2021/22 in die Öffentlichkeit kommt. Das sei so Usus. Mag ja sein, dass das nicht nur in Görlitz so läuft und man es in den letzten Jahren so praktiziert hat. Allerdings gibt die Gemeindeordnung klar vor, wie der Haushalt aufzustellen ist. Die Verwaltung erarbeitet einen Entwurf. Dieser wird öffentlich ausgelegt und die Bürgerschaft hat 14 Tage Zeit, ihre Einwendungen zu machen. Damit beschäftigt sich dann der Stadtrat und verhandelt die Haushaltssatzung öffentlich. Diese Öffentlichkeitsprinzip ist ein hohes Gut. Warum? Wenn sich die Fraktionen bereits vor der Auslegung des Haushaltes auf ihre Punkte einigen, ist der Drops gelutscht. Das Paket geschnürt. Die Bürgerschaft wird mit Einwendungen kaum Erfolg haben. Sie bekommt auch die Diskussionen nicht mit, welche Schwerpunkte die Fraktionen setzen. Was ja für eine demokratische Gesellschaft nicht ganz unwichtig ist. Diese Auffassung teilt der Oberbürgermeister nicht. Deshalb bleibt der Haushalt für die Öffentlichkeit vermutlich bis Mai oder Juni eine Black Box.

Corona

Unter dem Informationspunkt bekommen wir vom OB Einschätzungen zur Lage. Herr Ursu nimmt ein Umdenken wahr, sich von Inzidenzen zu lösen, sich mehr nach Auslastung der Krankenhäuser zu richten und mit Testungen mehr möglich zu machen. Er geht davon aus, dass das nach Ostern konkreter wird. Beim Landkreis setzt er sich für die Entwicklung einer App ein, um mit negativem Test mehr Freiheit zu bekommen. Ähnlich wie die Luca-App, die aber nicht genutzt werden kann, da das Gesundheitsamt des Landkreises keine kompatible Software nutzt. In Sachen Impfungen möchte OB Ursu das Klinikum und die größeren Betriebe einbeziehen. Voraussetzung ist freilich, dass ausreichend Impfstoff verfügbar ist.

Berzi GmbH

Im September 2020 wurde auf Wunsch von OB Ursu beschlossen, die Gründung einer Gesellschaft zu planen, die die Geschäfte am Berzdorfer See bündelt. Bis zum 1. Quartal 2021 sollte die Planung vorgestellt werden. Was soll Zweck der GmbH sein, welche Aufgaben bekommt sie, wie soll sie sich strukturieren? Nun, zum Ende des 1. Quartals bekommen wir die Information, dass es noch nicht viel zu berichten gibt. Man befinde sich noch in Verhandlungen. Sechs Monate sind also vergangen ohne vorzeigbares Ergebnis. Und wir haben weiterhin unklare Zuständigkeiten.

Kaufhaus/Postplatz 5 und 6

Dem Rathaus wurde eine Petition überreicht, die das Quorum von 300 Unterzeichnern erfüllt hat. Gefordert wird der Erhalt des Gebäudes Postplatz 6, die Erarbeitung alternativer Konzepte und die Einbeziehung der Görlitzerinnen und Görlitzer. Der Stadtrat kann sich allerdings nicht damit beschäftigen, erklärt die Verwaltung, da es sich um Privatbesitz und eine private Investition handelt. Danilo Kuscher aus unserer Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne merkt an, dass dann wohl auch der OB Neutralität zu wahren hat und sich nicht beim Landesamt für den Abriss denkmalgeschützter Gebäude (Postplatz 5/6) einzusetzen.

An dieser Stelle wird es spannend: Der OB berichtet, dass das Landesamt für Denkmalschutz dem Abrissantrag von Herrn Stöcker nicht zustimmt. Herr Ursu will nun die Landesdirektion anschreiben. Sie soll über den Dissens entscheiden. Der OB ist formell Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde von Görlitz und spricht sich für den Abriss aus. Als zuletzt die Landesdirektion eine solche Entscheidung zu treffen hatte, verschwand das Wilhelmstheater und Görlitz bekam den Profanbau City Center. Bei der Entscheidung der Landesdirektion handelt es sich um einen reinen Verwaltungsvorgang. Bedeutet: Der Stadtrat hat nichts zu melden. Die Bürgerschaft bleibt außen vor. Thorsten Ahrens (Die Linke) verweist darauf, dass über das Projekt Kaufhaus/Parkhaus offiziell nichts bekannt ist und fragt, wie man sich als OB  dennoch für den Abriss einsetzen kann. Von Bürgermeister Michael Wieler erfahren wir, dass der Verwaltung durchaus Details bekannt sind. Da Herr Stöcker sie aber nicht freigibt, um daraus einen Bebauungsplan zu erstellen, sind sie nicht öffentlich. Ich spüre Unbehagen. Vom Kaufhausprojekt bin ich überzeugt. Es wird dem Einzelhandel in Görlitz guttun und ein weiterer Anziehungspunkt sein. Ich lasse mich auch gern überzeugen, dass ein größeres Parkhaus Sinn macht, wenn damit an anderer Stelle die Innenstadt entlastet wird, etwa auf dem Obermarkt. Aber Leute: Das darf doch nicht hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Die Energie, die der OB jetzt in die Unterstützung eines Abrissantrages stellt, sollte er darauf verwenden, Herrn Stöcker zum Aufstellen eines Bebauungsplanes zu motivieren. Das würde das Verfahren beschleunigen. Alles andere sind Versuche, eine eigene Vorstellung von Recht und Ordnung durchzusetzen. Nach dem Motto: Wer bezahlt, bestimmt die Musik. Dagegen muss sich ein Oberbürgermeister wehren. Er hat das gesamte städtische Wohl im Auge zu behalten. Dazu gehören nach meiner Auffassung transparente Verfahren. Alles andere stört den Frieden in der Stadt. Oder gibt es ähnliche Sonderregelungen auch für andere Bauherren?

Kiesabbau Hagenwerder

Endlich: Nachdem bereits Anfang 2021 das Oberbergamt der Stadt mitgeteilt hat, dass der Kiesabbau am Ortseingang Hagenwerder genehmigt wurde, erfolgt dazu eine öffentliche Information. Im Kern wird der Werdegang wiedergegeben, den unsere Fraktion Anfang März recherchiert hatte. Ich frage nach, ob die Bürger von Hagenwerder 2019 über das Genehmigungsverfahren informiert wurden. Bürgermeister Wieler erklärt dazu, dass die Verwaltung davon ausgegangen sei, es folge eine öffentliche Beteiligung. Dass es für ein Abbaugebiet dieser Größe eine solche Beteiligung nicht gibt, war der Verwaltung nicht bekannt. Deshalb kamen die Bagger im März für die Menschen in Hagenwerder wie aus heiterem Himmel. Unsere Fraktion bleibt weiter am Ball und versucht die Betroffenen zu unterstützen. Auch in diesem Verfahren ist die Transparenz mangelhaft. Das Sächsische Oberbergamt verweigert der Stadtverwaltung Görlitz, die Genehmigung zum Abbau öffentlich zu verwenden. Unglaublich eigentlich, oder?

Wochenmarkt

Es folgt eine Vorstellung des neuen Marktbetreibers „Deutsche Marktgilde“. Inklusive Diskussion dauert es rund 90 Minuten. Das zeigt, wie emotional das Thema in Görlitz behandelt wird. Die Händler sind in Teilen unzufrieden mit dem neuen Betreiber. Sie kritisieren höhere Preise (teurer als in Dresden), fehlendes Wasser und Unklarheit, was künftig der Strom kosten wird. Die Marktgilde begründet die Preise mit den hohen Nebenkosten in Görlitz und dem Aufwand, der anfällt. So müssen sechs Stromkästen in Schuss gebracht werden. Als negativ empfindet der neue Betreiber auch die Tatsache, dass an sechs Tagen in der Woche geöffnet ist. Das sei ein absolutes Novum. Montag und Mittwoch sind wohl die schwächsten Tage. Es klingt ein wenig danach, als ob hier bereits eine Kürzung auf weniger Markttage anmoderiert wird. Wie auch andere Stadträte spricht sich meine Fraktionskollegin Kristina Seifert dafür aus, dass die Corona-bedingten Sonderkonditionen, die die Marktgilde erhält, den Händlern zugutekommen. Das lehnt der Marktbetreiber ab. Ebenso wie eine Versorgung mit Frischwasser. Dafür wären die hygienischen Anforderungen zu hoch. Ob es hygienischer ist, wenn sich die Händler ihr H2O in Behältern mitbringen und es den ganzen Tag in der Sonne steht, überlasse ich den Experten. Hoffen wir mal, dass es zu einem guten Miteinander von Händlern und Betreibern kommt. Ich kann verstehen, dass sich der Markt für die Gilde rechnen muss.  Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch Preise und Bedingungen, die für die Händler annehmbar sind.

Beendigung von Stadtratstätigkeiten

Wie schon in der Presse nachzulesen war, möchten die AfD-Stadträte Thomas Seliger und Matthias Volprich keine Stadträte mehr sein. Sie führen dafür berufliche und persönliche Gründe an. Meine Kollegin Dr. Jana Krauß spricht für unsere Fraktion. Sie kritisiert den leichtfertigen Umgang mit Wählerstimmen und errungenem Mandat. Gleichzeitig äußert Jana Verständnis für die persönliche Belastung von Selbständigen, die der Stadtratsarbeit nachgehen. Das kann sie gut beurteilen, da sie ebenfalls selbständig ist. Weiter sagt Jana: „Was aber fehlt in den Begründungen der beiden Stadträte, ist die Anerkennung der Verantwortung. Wir erleben in unserer Fraktion, die aus fünf Leuten besteht, was es heißt zusammenzustehen. Ist es denn für eine 12er AfD-Fraktion unmöglich die eigenen Kollegen so zu entlasten, dass die Ausübung des Mandats weiterhin möglich ist?“

Ich bringe an anderer Stelle meine persönliche Sicht zum Verfahren ein. Es ist für mich keine gute Regelung, dass ein ehrenamtlich arbeitendes Kollegium entscheidet, ob jemand aus den eigenen Reihen gehen darf. An dieser Stelle sollte die Gemeindeordnung verändert werden. Ich fände es gut, wenn es klare Kriterien gibt und eine zuständige Stelle von Amts wegen entscheidet. Zur Sachfrage selbst habe ich eine klare Haltung: Wer gehen will, soll gehen. Unsere Fraktion enthält sich in beiden Fällen. Die Stadträte Seliger und Volprich werden von der Mehrheit des Rates „aus der Verantwortung entlassen“. Anschließend vereidigt der Stadtrat zwei Nachrücker, die nun für die AfD mitarbeiten. Damit könnte das Thema erledigt sein. Aber leider gab es einen Formfehler. Die betroffenen Stadträte Seliger und Volprich hatten sich nicht als befangen erklärt. Das ist aber vorgeschrieben in solchen Fällen. Wenn es um dich persönlich geht, hast du dich rauszuhalten und den Platz zu verlassen. Macht ja auch Sinn. Nach einigen hektischen Minuten erklärt der OB die gefassten Beschlüsse für rechtswidrig. Also sind die Herren Seliger und Volprich offiziell weiterhin Stadträte und müssen in der nächsten Sitzung nochmal „entlassen“ werden. Kann passieren, wir sind ja alle keine Profis.*

 

Fragestunde Bürger

Mandy Kraußen von der Glückssträhne und weitere Händler fordern ein Modellprojekt nach dem Vorbild Tübingens für Görlitz, damit hier mithilfe von Tests mehr Freiheiten möglich werden. Sie wünscht sich vom OB ein Konzept, damit man loslegen kann, sobald es möglich ist. OB Ursu bietet Unterstützung an, verweist aber auch darauf, dass man Görlitz nicht mit Tübingen vergleichen kann. Mal schauen, was in Zusammenarbeit mit dem Landkreis möglich ist. Fakt bleibt: Auch Modellprojekte sind erst durchführbar, wenn die Gesamtzahl an Infizierten möglichst niedrig ist. Es kommt auf die Disziplin von uns allen an.

 

Fragestunde für Stadträte:

Danilo Kuscher hakt für unsere Fraktion nach, warum der Haushalt nicht öffentlich debattiert wird. So wie es derzeit praktiziert wird, ist es schwer zu argumentieren, da ja Details zum Haushalt unter die Verschwiegenheit fallen. Kollege Ahrens von den Linken unterstützt das und bittet um eine Handreichung, aus der hervorgeht, welche Daten zum Haushaltsentwurf kommuniziert werden dürfen. Das sagt der OB zu. Wir sind gespannt auf das Papier.

Ich möchte wissen, wie weit das Personalentwicklungskonzept gediehen ist. Bei seiner Antrittsrede im August 2019 hatte Herr Ursu eine Aktualisierung angekündigt. Da wir im Rahmen der Haushaltsdiskussion möglicherweise auch über Personalanpassungen entscheiden, wäre ein solches Konzept eine wichtige Grundlage. Ob es denn bis dahin vorliegt? Der OB beantwortet im ersten Anlauf meine Frage nicht, sondern geht nochmals auf das Verfahren der Haushaltsdiskussion ein. Ich frage nach: Liegt das Personalentwicklungskonzept zur Haushaltsdiskussion vor? Man sei auf einem guten Weg, erfahre ich. Ist er gerade losgelaufen? Oder sieht er schon die Zielflagge? Keine Ahnung. Bei solchen Antworten kann man sich die Fragestunde auch sparen.

 

Bei den Beschlüssen gehe ich auf die aus unserer Fraktionssicht spannendsten Themen ein:

Gesamtsanierung Stadthalle

Unsere Haltung zur Stadthalle ist eindeutig. Es wäre prima, wenn ein solches Haus kommt und wir es uns leisten können. Daran bestehen erhebliche Zweifel. Nachdem zumindest die Sanierung lange Zeit als gesichert schien und wir uns eher über die Zuschüsse für den Betrieb sorgten, ist nun auch die Investition selbst in Gefahr. Darauf verweist die Amtsleiterin für Stadtfinanzen in der Vorlage. Es fehlt ab 2022 an Geld für weitere Planungen und den Bau, trotz Fördermitteln. Außerdem muss von einer weiteren Kostensteigerung ausgegangen werden, da die aktuellen Zahlen aus 2020 stammen und bis zur Fertigstellung 2025 der Baukostenindex steigen dürfte. Das führt aus Sicht der Finanzverantwortlichen im Rathaus zu erheblichen Risiken. Da die Stadthalle keine Pflichtaufgabe sei, können auch keine Kredite aufgenommen werden.

Düstere Aussichten. Dennoch ist die Mehrheit des Stadtrates nicht bereit, den Planungsprozess anzuhalten. Das Prinzip Hoffnung regiert. Vielleicht möchte man auch nur nicht „schuld“ sein, wenn die Sanierung scheitert. Unsere Fraktion nutzt die Debatte, um offene Fragen zu klären. Die Finanzierungslücke von derzeit rund 3 Millionen Euro möchte die Stadt dadurch schließen, dass sie sich die gezahlte Umsatzsteuer für Planung und Bau vom Finanzamt zurückholt. Ob diese Vorsteuerabzugsberechtigung erteilt wird, verhandelt das Rathaus aktuell mit den Finanzbehörden. Ich möchte wissen, ob die Verwaltung weiß, um was für eine Art Förderung es sich handelt. Brutto oder Netto? Aus dem Zuwendungsrecht kenne ich es so: Bei einer Bruttoförderung bekommt man die 36 Millionen Euro von Bund und Land und bestreitet davon seine Brutto-Ausgaben, also inklusive der Umsatzsteuer. Ist man vorsteuerabzugsberechtigt, muss man eigentliche eine Netto-Kalkulation einreichen und bekommt auf dieser Basis eine Netto-Förderung (die dann geringer ausfällt). Gänzlich neu wäre mir, dass der Finanzminister auf rund 6 Millionen Euro Umsatzsteuer verzichtet. Genau das scheint der Knackpunkt zu sein. Klar kann die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien sagen: Nehmt mein Geld, holt euch die Vorsteuer und verbaut auch diese. Nur wird Monika Grütters nicht die Finanzprüfung durchführen. Insofern ist dieser Punkt in der Betrachtung wesentlich. Denn ohne das Vorsteuermodell bricht die gesamte Finanzierung zusammen. Ich lasse mich gern eines Besseren belehren, wenn es tatsächlich zu einer Lex Görlitz kommt und Olaf Scholz zugunsten der Stadthalle auf ein paar Millionen verzichtet.

Meine Kollegin Jana Krauß fragt, ob die zu erwartenden Baukostensteigerungen denn bereits eingepreist sind (in Sachsen stieg der Baupreisindex in den letzten fünf Jahren um 20%). Das ist nicht der Fall. Allerdings weist Dr. Wieler darauf hin, dass wir heute nicht über die endgültigen Kosten abstimmen. Diese bekommen wir erst im nächsten Schritt mit der Entwurfsplanung. Ob darin dann steigende Baukosten einkalkuliert werden? Danilo Kuscher fragt, was denn angesichts der vielen offenen Fragen dagegenspricht, diesen Beschluss im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zu führen. Immerhin geht es um zusätzlich 342.000 Euro, die wir mit der Erweiterung der Planungsaufträge ausgeben. Bürgermeister Wieler geht auf die Frage nicht ein. Der Stadtrat soll entscheiden, ob wir an dieser Stelle die Planung aussetzen. Thorsten Ahrens kritisiert, dass damit die inhaltliche Frage nicht beantwortet sei. Außerdem möchte er gern die Fördermittelzusagen von Bund und Land sehen. An dieser Stelle wird es erneut seltsam geheimnisvoll. OB Ursu erklärt, dass diese Schreiben nicht herausgegeben werden. Begründung: Datenschutz. Das größte Investitionsprojekt seit der Wende basiert also auf Fördermittel-Zusagen, die geheim bleiben müssen? Das lassen wir in den nächsten Tagen prüfen.

In einer Sitzungspause erklärt uns Bürgermeister Wieler seine Sicht auf die Vorsteuer. Es ist ein guter Austausch. Er versichert uns außerdem, dass wir an dieser Stelle des Verfahrens lediglich die weitere Planung beschließen. Obwohl uns die 342.000 Euro dafür schmerzen, wollen wir unseren guten Willen zeigen und enthalten uns bei der Abstimmung. Spätestens im Juli/August wird es dann zum Schwur kommen, wenn wir entscheiden müssen, ob wir auf Grundlage einer Entwurfsplanung und eines Betriebskonzeptes die finanzielle Kraft für das Stadthallenprojekt haben. Aus derzeitiger Perspektive hilft nur ein Wunder. Stand jetzt ist das Vorhaben nicht umsetzbar.

Konzept für eine Digitalisierungsstrategie

Wir machen uns auf den Weg. Das ist die frohe Botschaft kurz vor 22 Uhr. Unser Antrag wird mehrheitlich angenommen. Langfristig braucht Görlitz eine Strategie, wie die Digitale Transformation in die Stadtentwicklung eingebunden wird. Das ist ein Prozess, der gut vorbereitet sein will. Als Grundlage braucht es ein Konzept, wie man das angeht, wen man als Partner ins Boot holt, wie die Bürgerschaft einbezogen wird. Inhaltlicher Leitfaden soll die nationale „Smart City Charta“ sein. Zunächst erklären OB und ein zuständiger Mitarbeiter, die Verwaltung habe keine Ressourcen für ein solches Konzept und könne es leider nicht umsetzen. Das wäre ein Offenbarungseid für die „Stadt der Zukunft“. Ich schlage vor, sich bereits für diese erste (überschaubare) Aufgabe Partner zu holen. So gibt es bei den Stadtwerken eine Abteilung, die sich ausschließlich mit Zukunftsthemen beschäftigt. Die Hochschule ist fachlich und methodisch ebenfalls vorn dabei. Das überzeugt schließlich den OB. Er bittet darum, die angestrebte Zeitvorgabe bis Oktober 2021 und die konkrete Vorgabe an den Konzeptinhalt zu streichen, um mehr Freiheit zu haben. Darauf einigen wir uns. Ein wichtiger Schritt nach vorn.

Gehölzschutzsatzung

Jana Krauß bringt eine zweite Vorlage unserer Fraktion ein: „Satzung zum Schutz und zur Pflege des Gehölzbestandes der Stadt Görlitz“. Sie soll die Aufmerksamkeit auf den Baumschutz lenken. Eine zeitgemäße Satzung ist Klimaschutz und damit Bestandteil der Umsetzung des Görlitzer Ziels, bis 2030 klimaneutrale Stadt zu werden. Unser Entwurf beschreibt einen maximalen Schutz, ist aber kein Dogma, sondern lädt zur Diskussion ein. Neu aufnehmen wollen wir den Schutz von Baumarten, die bisher nicht erfasst sind, wie Obst- und Nadelbäume. Auch den Schutz von Bäumen mit einem Stammdurchmesser von weniger als einem Meter sowie von Großsträuchern und Hecken streben wir an. Uns ist bewusst, dass dies nicht überall auf Beifall stoßen wird. Aber es gehört für uns zu einer ehrlichen Politik, auch die umstrittenen Themen anzufassen, wenn wir davon überzeugt sind, dass sie wichtig für unsere Stadt sind.

Die Stadtverwaltung findet es prima, dass wir das Thema angehen. Im Rathaus selbst wird  auch an einer Baumschutzsatzung gearbeitet – wie wir erst nach Einreichung unseres Antrags erfuhren. Kein Problem, wir können gut mit der Verwaltung zusammenarbeiten. Erwartungsgemäß begegnet uns Skepsis von anderen Fraktionen, die die Vorgaben als zu streng empfinden. Warum sollte man denn Bäume mit Stammdurchmesser unter einem Meter schützen? An dieser Stelle habe ich den größten Erkenntnisgewinn der gesamten Sitzung, als Jana Krauß erklärt: Will man robuste Bäume, muss man die jungen Gewächse schützen. Für 80 Zentimeter Stammdurchmesser braucht ein Laubbaum zwischen 48 und 60 Jahren. Kann weg? Selbst ein Baum mit 30 Zentimeter Umfang hat ein Alter von 20 Jahren. Kann weg? Wir bleiben am Thema dran, ziehen unsere Vorlage aber zurück. Zu diesem Zeitpunkt wäre es schade, wenn sie abgelehnt wird. Wir sind froh, dass es einen Austausch mit der Verwaltung gibt und dass das Thema dort ernst genommen wird. Unsere Vorschläge bringen wir bei der Behandlung der Baumschutzsatzung der Verwaltung mit ein.

Was wurde sonst noch beschlossen (keine vollständige Aufzählung)?

Der Auftrag für den ersten Bauabschnitt des Ausbaus Rothenburger Straße wird vergeben an die Straßen- und Tiefbau GmbH See. Gebaut wird von der Kreuzung Schlesische Straße in Richtung Klingewalde.

Für die Abbrüche und das Herrichten der Geländeoberfläche im ehemaligen Schlachthofgelände beauftragen wir die Görlitzer Gleis- und Tiefbau GmbH. Mit den Arbeiten wird das Grundstück für künftige Nutzungen vorbereitet, etwa die geplante Oberschule. Die Maßnahmen im östlichen Bereich des Schlachthofes sind auch nötig, damit die Stadtwerke ihre Fernwärmetrasse für die Versorgung der Innenstadt West verlegen können.

Einstimmig beschließen wir, dass die Gastwirte bis Jahresende keine Gebühren zahlen müssen, wenn sie Tische und Stühle im Freien aufstellen. Das ist ein sehr kleiner Beitrag der Unterstützung in schwierigen Zeiten. Die Stadt verzichtet auf etwa 5.000 Euro.

Es gibt demnächst einen Kleingartenbeirat. Das hatten sich die Kleingärtner gewünscht, nachdem alle Parzellen von der Stadt an Kommwohnen verkauft werden mussten, um den Kita-Neubau Fichtestraße bezahlen zu können.

Nachdem Karin Mohr aus gesundheitlichen Gründen aus dem Seniorenbeirat ausscheiden musste, wird ihr Platz neu besetzt. Die von Motor Görlitz/Bündnisgrüne vorgeschlagene Kandidatin Ursula Geßner übernimmt. Vielen Dank und viel Erfolg.

Die Oberschule Rauschwalde nutzt seit 2015 drei Container, weil der Platz für die Schüler nicht ausreicht. Leider lassen Klimatisierung und Schallschutz zu wünschen übrig. Jetzt wird nachgebessert. Spätestens zum nächsten Schuljahr gibt es Klimaanlagen und Schallschutzwände. Verbesserungen auch in der Grundschule 1 (Schulstraße): Hier hallt es zu stark. Mit Baumaßnahmen wird das behoben. Die Lehrer halten schließlich keine Predigt.

Diskussionen gibt es wegen der vorzeitigen Freigabe von Haushaltsmitteln für die Veranstaltungen im Jubiläumsjahr „950 Jahre Görlitz„. Hier unterläuft unserem Geburtstagskind Danilo Kuscher ein Fehler. Im Eifer des Gefechts verpasst er, sich befangen zu melden. Wir holen die Beschlussfassung beim nächsten Mal nach. (Vorzeitige Freigabe deshalb, weil wir keinen beschlossenen Haushalt haben.)

Eifrig diskutiert wird um eine eher überschaubare Summe: 28.000 Euro sollen ebenfalls vorzeitig freigegeben werden für die Erstellung von Verkehrswertgutachten. Damit will das Rathaus die Preise für Grundstücksverkäufe an Kommwohnen und Gewerbeflächen in Klingewalde (Zoll, Bauen 4.0) ermitteln. Unstrittig. Dagegen gibt es Gesprächsbedarf für das gewünschte Gutachten im ehemaligen Kraftwerksgelände Hagenwerder. Um einschätzen zu können, ob und mit welchem Aufwand wir Flächen von der LEAG erwerben können, soll der aktuelle Wert ermittelt werden. Die AfD argumentiert, dass wir doch gar kein Geld haben, um uns Industrieflächen leisten zu können. Also sollten wir uns auch die Kohle für das Gutachten sparen. Kannste mal sehen. Bei einem Preis im niedrigen fünfstelligen Bereich gibt es große Bedenken. Bei sechsstelligen Planungskosten für eine Stadthalle, die ebenfalls finanziell auf tönernen Füßen steht, fordert dieselbe Fraktion, dass man jetzt nicht wackeln darf. Bemerkenswert.

Wirtschaftlich positive Nachricht: Das aus dem Waggonbau ausgegründete Unternehmen Bahn Service Görlitz GmbH kauft ein Grundstück im Gewerbegebiet Schlauroth. Bis zu 25 neue Arbeitsplätze sollen beim Bahnzulieferer entstehen. Rund 6,5 Millionen Euro werden investiert. Gutes Gelingen.

Zum Abschluss möchte die CDU-Fraktion den bestehenden beratenden Ausschuss Umwelt und Ordnung teilen. Umwelt/Klimaschutz/Nachhaltigkeit und Ordnung/Sicherheit/Prävention sollen die neuen Ausschüsse heißen. Es gibt Bedenken von unserer Fraktion aber auch von BfG. Die Idee, die beiden Ausschüsse alternierend tagen zu lassen, so dass man die Belastung nicht erhöht, klingt gut. Praktisch ist es aber so, dass ein Ausschuss nicht nur aller vier Monate tagen kann. Er wird einberufen, wenn es Vorlagen gibt, die der Ausschuss vorzuberaten hat. Unser Vorschlag, die Vorlage zurückzuziehen und generell über die Zuschneidung der Ausschüsse zu beraten, wird abgelehnt. Also Abstimmung. Knapper Erfolg für den CDU-Antrag. Um die beiden neuen Ausschüsse nun noch in der Hauptsatzung festzuschreiben, braucht es einen weiteren Beschluss und eine zwei Drittel Mehrheit. Wahnsinn, was man alles so lernt im Stadtrat.

 

*Nachtrag: Alle gefassten Beschlüsse wurden im Nachgang für ungültig erklärt. Grund ist die unübersichtliche Lage während der Entlassung der beiden AfD-Stadträte. Mitte April sollen im Rahmen einer Sondersitzung alle Vorlagen nochmals abgestimmt werden.

 

Text: Mike Altmann