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Ich darf wieder rein. Nachdem mich eine Kontaktpersonenquarantäne an der Teilnahme der Sondersitzung zur Oberschule hinderte, freue ich mich auf ein paar Stunden Kommunalpolitik. Unsere Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne legt zu Beginn der Sitzung ausnahmsweise den Rückwärtsgang ein. Unser Antrag, mit dem wir die Bahnstation Weinhübel retten wollen, geben wir zurück in die Ausschüsse. Es gibt noch einigen Redebedarf. Dazu informieren wir demnächst auch ausführlich.

OB Ursu verkündet anschließend einige wichtige Punkte. Neben der erfreulichen Übergabe der Rettungswache am Berzdorfer See gibt es schlechte Nachrichten von der GVB. Geschäftsführer Andreas Trillmich muss aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Ein herber Verlust für die junge Verkehrsgesellschaft. Die Lücke füllen soll zunächst Prokurist Sven Sellig. Beratend zur Seite stehen wird ihm Ex-OB Siegfried Deinege, um insbesondere die Beschaffung der neuen Stadtbahnen zu organisieren. Danke Andreas Trillmich, alles Gute für die Zukunft, insbesondere gesundheitlich. Toi, toi, toi ans neue Führungsteam und die gesamte GVB.

 

Welterbe-Bewerbung

Bürgermeister Michael Wieler berichtet zum Stand der Bewerbung für das UNESCO-Welterbe. Rückblick: 2014 war die Görlitzer Bewerbung zurückgestellt worden. Die Jury gab den Hinweis, sich nicht nur auf die Hallenhäuser und die Altstadt zu fokussieren. Vielmehr sollte Görlitz seine ganz eigene Geschichte erzählen. Diese heißt nun „Ein Architekturensemble von Kaufleuten an der Via Regia“. Dargestellt wird das zentraleuropäische Handelswesen in der frühen Neuzeit. Also die Entwicklung des Fernhandels, in deren Folge die Hallenhäuser entstanden. Görlitz wird die Bewerbung in den kommenden Tagen beim Freistaat abgeben. Im Herbst gehen die Vorschläge an den Bund – hier ist Görlitz in jedem Fall dabei, da die ursprüngliche Bewerbung 2014 nicht abgelehnt, sondern zurückgestellt wurde. Erst im Herbst 2023 entscheidet die deutsche Kultusministerkonferenz welche Projekte auf die UNESCO-Vorschlagsliste kommen. Michael Wieler ist optimistisch, dass es klappt. Schließlich hat man sich einen internationalen Experten an die Seite geholt, der bereits neun erfolgreiche Welterbe-Bewerbungen begleitet hat. Das Gebiet des geplanten UNESCO-Welterbes umfasst übrigens die Altstadt bis zum Kaisertrutz und reicht bis in die Nikolaivorstadt. Begleitet werden soll die Görlitzer UNESCO-Bewerbung durch eine Ausstellung in der Galerie auf der Brüderstraße. Drücken wir die Daumen. Der Welterbe Titel wäre unschätzbar für die Entwicklung von Görlitz als touristische Destination und verdienter Lohn für den Schutz und Wiederaufbau des historischen Stadtkerns. Müssen wir Angst haben, dass es als UNESCO-Welterbestätte keine Entwicklung mehr gibt? Nein, sagt Michael Wieler und verweist auf Stralsund und Lübeck, wo mit Ozeaneum und Hansemuseum zwei moderne Objekte in Abstimmung mit der UNESCO errichtet wurden. In Görlitz könnte dies auch geschehen, wenn man an das Kondensatorenwerk an der Neiße denkt, das künftig für das CASUS-Institut umgebaut werden soll. Die Bewerbung von Görlitz als UNESCO-Welterbestätte kostet pro Jahr etwa 100.000 Euro. Ein sinnvolles Investment, wie ich finde.

Premiere bei der Bürgerfragestunde: Es gibt keine Fragen. Dafür haben die Stadträte einiges auf dem Herzen.

Yvonne Reich (BfG) möchte vor dem Beschluss zum Haushalt einen Zuschuss für die Helenenbad-Betreiber. Die Kinderbadelandschaft muss vorbereitet werden. Bislang bekam der AUR e.V. als Betreiber einen Jahreszuschuss von 30.000 Euro. Das ist auch für 21/22 im Haushaltsentwurf eingeplant. Allerdings wird der Etat nicht vor dem Sommer genehmigt sein. Einziger Weg ist ein sogenannter Mittelvorgriff, den der Stadtrat beschließen kann. Wenn das rechtlich möglich ist, stehen wir dem Vorschlag positiv gegenüber. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist es ein schöner Erholungsort in der Stadt. Vielleicht sind wir in der Mai-Sitzung schon schlauer.

Fraktionskollege Danilo Kuscher (Motor Görlitz) erkundigt sich nach der Verzögerung bei der Fußgängerbrücke auf der Blockhausstraße. Diese soll während der Brückenbauarbeiten die Verbindung von und zur Goethestraße sichern, kommt nun aber mit zehn Wochen Verzögerung. Glück im Unglück: Da die gesamten Bauarbeiten deutlich später starten, wird sich dieses Problem von selbst lösen. Heißt: Anwohner müssen nicht über einen Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um etwa von der Bahnhofstraße zum Arzt auf der Goethestraße zu gelangen. Ursache für die Lieferschwierigkeiten der Fußgängerbrücke ist die Lage auf dem Rohstoffmarkt. Engpässe und explodierende Preise  – wie stellt sich die Stadtverwaltung darauf ein, wenn es um künftige Bauvorhaben geht, möchte Danilo wissen. Bürgermeister Wieler sieht wenig Optionen. Im Vorfeld von Ausschreibungen gibt es aktuelle Kostenschätzungen. Mehr könne man nicht machen.

Nachdem es im März nicht mit einer konkreten Antwort geklappt hatte, wiederhole ich meine Frage, wann der OB ein Personalentwicklungskonzept vorlegt. In einer der nächsten Sitzungen des Verwaltungsausschusses soll es soweit sein. Ich bin gespannt.

Wieviel kostet eigentlich der Betrieb einer öffentlichen WC-Anlage? 12.000 Euro. Teurer kann es werden, wenn Vandalen hausen. Wie immer wieder in der Apothekergasse. Dort ist seit einiger Zeit schon „Eintritt frei“. Die Versuche von Dieben, an die Münzen zu kommen, haben so hohe Schäden verursacht, dass es günstiger ist, erst gar keine Einnahmen zu erzielen. Traurige Welt.

 

Dann kommen wir zu den Beschlüssen:

Einstimmig beschließen wir, dass die Kita Samenkorn im Haus Wartburg mit Hilfe von Fördermitteln saniert und umgebaut wird.

Für den Bau der Kita Fichtestraße geht der Auftrag an die TBN Terminbau Niesky GmbH.

Das fortgeschriebene Einzelhandelskonzept (EHK) wird ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen. Der Titel führt in die Irre. Es handelt sich nicht um ein Entwicklungs-Konzept. Eher um einen Stadtplan, der zeigt, in welchen Gebieten von Görlitz welche Verkaufseinrichtungen angesiedelt werden können.

Mit Spannung erwartet wurde vor der Sitzung die Wahl des oder der Beauftragten für Kinder, Jugend und Familie. Neben dem seit fast zehn Jahren amtierenden Eugen Böhler bewarb sich Dr. Ines Mory. Sie stammt aus Pasewalk und lebt seit einigen Jahren in Görlitz. Ines Mory ist promovierte Theologin und arbeitet jetzt als Lehrerin in Herrnhut. In geheimer Abstimmung wird sie zur neuen Beauftragten gewählt. Frau Mory erhält 19 Stimmen, Eugen Böhler 16. Meine Kollegin Kristina Seifert (Bündnisgrüne) bedankt sich namens unserer Fraktion beim bisherigen Familienbeauftragten für sein Engagement und wünscht der Nachfolgerin viel Erfolg. Außerdem regt sie an, dass wir das Verfahren ändern. Eine solch wichtige ehrenamtliche Position sollte demnächst öffentlich ausgeschrieben werden, damit auch alle Interessierten davon Kenntnis bekommen und sich bewerben können. Bei der nun abgeschlossenen Berufung von Frau Mory gab es ein internes Verfahren, bei dem die Fraktionen Vorschläge unterbreiten konnten. Leider war selbst das Lokale Bündnis für Familie nicht eingebunden.

Es folgt eine längere Prozedur, bei der Ausschüsse und Gremien neu besetzt werden müssen aufgrund der Wechsel in der AfD-Fraktion.

Höhepunkt der politischen Debatte ist die Frage: Übernachtungssteuer oder Gästetaxe? Zwei ähnlich gelagerte Anträge liegen vor. Bürger für Görlitz wollen eine „Kulturförderabgabe“, Motor/Grüne eine „Gästetaxe“. Dahinter steckt jeweils der Plan, dass Görlitz von Übernachtungsgästen Geld einnimmt. Warum solche Anträge nicht im Vorfeld abgestimmt werden, so dass nicht zwei zum selben Thema vorliegen? Man muss davon wissen. Deshalb reicht unsere Fraktion ihre Anträge nicht nur bei der Verwaltung ein, sondern informiert parallel alle Fraktionen. Bei diesem Thema waren BfG „schneller“, haben aber diese Information nicht weitergegeben. Somit gab es einige Tage später einen zweiten Antrag unserer Fraktion. Anfang April erklärten die Beteiligten den Willen, sich Zeit zu nehmen, in Ausschüssen zu beraten und sich auf einen Antrag zu verständigen, der im Stadtrat behandelt wird. Davon ist wenig später nichts mehr zu spüren. Die BfG ändern ihren Antrag inhaltlich. Kulturförderabgabe steht nur noch in der Überschrift. Etikettenschwindel. Es geht ihnen um eine reine Übernachtungssteuer, die sie auch unbedingt im April beschließen möchten. Somit stehen die zwei Anträge auch auf der Tagesordnung.

Um es vorwegzunehmen: Gegen die Empfehlungen von Tourismusverbänden und IHK beschließt der Görlitzer Stadtrat mit 18:17 die Einführung einer Übernachtungssteuer ab 2022. Eine Gästetaxe, wie von Motor Görlitz/Bündnisgrüne vorgeschlagen, ist damit durchgefallen. Gemeinsames Ziel beider Anträge: zusätzliche Einnahmen im Umfang von etwa 500.000 Euro pro Jahr. Wesentlicher Unterschied: Die Übernachtungssteuer fließt komplett in den Haushalt und kann somit auch für Bürobedarf der Verwaltung ausgegeben werden. Der Erlös aus einer Gästetaxe ist dagegen zweckgebunden und darf nur für touristische Zwecke ausgegeben werden.

In der Debatte betont unsere Fraktion, dass wir Einnahmen von Übernachtungsgästen wollen. Dass Hotels und Pensionen für uns dieses Geld einnehmen sollen. Die Akzeptanz für einen solchen Aufwand steigt, wenn man weiß, dass das Geld in touristische Angebote fließt. Ohne diese Akzeptanz bekommen wir schlechte Stimmung. Darauf hatten mehrere Seiten im Vorfeld der Sitzung hingewiesen. Die IHK schrieb in einer Stellungnahme, dass sie grundsätzlich eine Übernachtungssteuer ablehnt, „da sie in den allgemeinen Haushalt fließt und eine Belastung der Beherbergungsbetriebe darstellt, die in keinem Verhältnis zu den ökonomischen Effekten für den Tourismus steht.“ Wenn überhaupt, so die IHK, wäre man zu einem späteren Zeitpunkt und bei frühzeitiger Einbindung der touristischen Anbieter mit einer Gästetaxe einverstanden. Auch der Tourismusverein hatte gefordert, dass man gemeinsam mit den touristischen Anbietern die unterschiedlichen Ansätze umfassend prüft und bewertet. Diesen Gesprächswünschen hätte der Stadtrat leicht zustimmen können. Allerdings lehnte eine Mehrheit unseren Antrag ab, beide Vorlagen in die Ausschüsse zu verweisen. In der entscheidenden Abstimmung votieren dann 18 Stadträte für die Übernachtungssteuer der BfG, 17 sind dagegen. Die entscheidende Stimme für die Übernachtungssteuer kommt von Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU).

Die Debatte ist bemerkenswert. Zum einen umgeht die Verwaltung ihre Pflicht, den Stadträten umfassende Informationen für ihre Entscheidung zur Verfügung zu stellen. Ausführlich reden darf nur der Mitarbeiter aus dem Amt für Stadtfinanzen, der die Übernachtungssteuer empfiehlt. Nicht zu Wort kommt jedoch die fachlich zuständige Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH. Weil sie sich für eine Gästetaxe ausspricht? Bemerkenswert auch einige Redebeiträge. Bürgermeister Michael Wieler verweist darauf, dass die Stadt seit 15 Jahren Millionen für die EGZ einsetzt, „ohne dass die Tourismuswirtschaft hier einen Cent direkt dazu beiträgt.“ Über die EGZ werde an 365 Tagen im Jahr eine Tourist-Info betrieben. „Wenn wir jetzt darüber nachdenken wollen, wie wir ein paar hunderttausend Euro für den Tourismus verwenden wollen, dann sind wir etwas fehlgeleitet. Wir haben viel für den Tourismus getan, wir haben die Stadt attraktiv gemacht, gemeinsam mit privaten Investoren und das können wir den Hoteliers und Gastronomen sagen.“ Starke Worte in Richtung einer Branche, die wie kaum eine andere durch die Corona-Pandemie gebeutelt wurde.

In ein ähnliches Horn stößt Prof. Joachim Schulze von der BfG-Fraktion. Er bezeichnete die Ablehnung der Übernachtungssteuer durch den Landestourismusverband als Lobbyismus: „Es geht letztlich um die Kontrolle der Einnahmeverwendung, die man gern im eigenen Tätigkeitsfeld haben möchte. Eine Privilegierung einer Branche für die Mitbestimmung erschließt sich mir nicht.“ Hundebesitzer dürften schließlich auch nicht entscheiden, wofür die gezahlte Hundesteuer verwendet wird. Unpassender Vergleich. Zur Hundesteuer gibt es keine rechtliche Alternative. Zur Übernachtungssteuer schon. Mit der Gästetaxe können Kommunen den Erlös zweckgebunden verwenden. Ob für die Tourismus-Information oder neue Toiletten, ob für Investitionen am Berzdorfer See oder Veranstaltungen wie das ViaThea – das Geld fließt in touristische Infrastruktur und Angebote. Mit klugen Beteiligungsverfahren hätten wir Akteuren aus dem Tourismus ein Mitspracherecht ermöglichen können, etwa im Rahmen eines Beirates. Dass ausgerechnet Prof. Schulze als ein geistiger Vater der Bürgerbeteiligung in Görlitz darin eine Beschneidung des Stadtrates  sieht, ist erstaunlich.

Ein weiteres Argument von Herrn Professor Schulze: Die Gästetaxe sei ein „Bürokratiemonster“. Erstaunlich, dass dennoch 53 sächsische Kommunen eine Gästetaxe haben. Nur in Dresden gibt es eine Übernachtungssteuer. Handelt es sich denn tatsächlich um „Bürokratie“? Es geht eher um kaufmännische Pflichtaufgaben. Was bieten wir in Görlitz den Touristen an? Was kostet das? Zu welchem Anteil werden die Angebote von Gästen genutzt? Das ist keine Bürokratie, sondern notwendige Basis für die strategische Entwicklung des Tourismus. Und zwar völlig unabhängig davon, ob man eine Gästetaxe einführen möchte. Dies war ein wesentlicher Punkt warum sich die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne für das Modell entschieden hatte. Einer Übernachtungssteuer, die ohne Gegenleistungen für Gäste und Tourismusbetriebe eingezogen wird und im großen Haushaltstopf landet, werden wir auch zukünftig nicht zustimmen.

 

Zum Abschluss wird es heiter. Wir beschäftigen uns mit einem Antrag der Fraktion Die Linke. Sie möchte SZ-Abos für alle Stadträte. Es ist eine Vorlage mit Augenzwinkern, die eigentlich thematisiert, dass man wichtige Infos der Verwaltung häufig zuerst aus der Zeitung erfährt. Meine Co-Fraktionsvorsitzende Dr. Jana Krauß schätzt ein, dass das Thema sicherlich interessant ist für eine Debatte aber „die nötige Tiefe“ für einen Beschlussantrag fehlt. Am Ende stellt sich die Frage, ob denn zumindest die zwei anwesenden Räte der Linken ihrem eigenen Antrag zustimmen. Das erledigen sie tapfer. Mehr Befürwortung gibt’s nicht.

Und nochmal Die Linke. Sie beantragen, dass sich die Verwaltung mit der Frage beschäftigt, ob man das Schlachthofgelände kaufen könne. Auch um das Nostromo langfristig zu erhalten. Die Entwicklung hat den Antrag überholt. Es gibt mittlerweile einen ominösen Kaufinteressenten, der wohl im Interesse von Stadt und Nostromo das Areal erwerben möchte. Der Tanztempel würde einen langfristigen Pachtvertrag bekommen, die Stadt wiederum ein Vorkaufsrecht für das Gelände. Bislang kennt niemand den Namen des „Weißen Ritters“. Und das wird auch noch so bleiben, bis der Vertrag in trockenen Tüchern ist. Aktueller Stand: Verkehrswertgutachten Schlachthof ist in Arbeit, das bildet Grundlage für Vertrag, Gespräche werden fortgesetzt. Die Linke zieht ihren Antrag zurück. Notfalls kann er wieder ausgepackt werden, falls der Verkauf nicht zustande kommt. Ausdrücklich unterstützt unsere Fraktion die in der Vorlage gewünschte bürgerschaftliche Beteiligung bei der Frage: Wie soll das alte Schlachthofgelände künftig genutzt werden? Ein Katastrophenschutzzentrum mit Feuerwehr, wie zuletzt von Bürgermeister Wieler vorgeschlagen? Das bedeutet: Zaun drum. Wollen wir das an dieser exponierten Stelle in der Innenstadt? Man sollte zumindest ausführlich darüber reden – mit weit geöffneten Türen, Köpfen und Herzen. Wie über so vieles in unserer schönen Stadt. Kommt gut in den Mai.

 

Text: Mike Altmann