Schlagwortarchiv für: Kita Fichtestraße

Herzlich Willkommen zum 30. „Subjektiven“. Aus Anlass des Jubiläums beantworte ich Leserinnenpost: Wann schreibst du den Bericht aus dem Stadtrat, fragt Waltraud aus Weinhübel.  Liebe Waltraud, auf jeden Fall nicht direkt nach der Sitzung. Eine Nacht drüber schlafen ist wichtig. Manchmal träume ich was Schönes, dann wird der Bericht kuschelweich. Letzte Nacht erschien mir ein schimpfender Schornsteinfeger. Doch dazu später mehr.

Wir tagen weiterhin in der Sporthalle an der Jägerkaserne. Ob wir jemals den Ratssaal wiedersehen? Zumindest gibt es keine Maskenpflicht mehr. Wir können wieder in Gesichtern lesen. Die Sitzung startet mit Informationen des OB zur Lage der Geflüchteten aus der Ukraine. In den letzten Tagen und Wochen hat das Rathaus Geld an diejenigen ausgezahlt, die noch nicht offiziell registriert sind. Das war sehr gut organisiert mit Terminvergaben. Dafür herzlichen Dank an die Stadtverwaltung. Ab Juni soll der Transfer über das Jobcenter laufen. Mit dem Landkreis ist die Stadt im Gespräch, damit Betriebskosten für die private Unterbringungen erstattet werden. Es braucht zum Beispiel einen extra Zähler. Die Bürokratie kennt keinen Kriegszustand. Ordnung muss sein – eine Lösung her.

Eröffnungsbilanz

Anschließend gibt es große Zahlen und das vorläufige Finale einer endlosen Geschichte. Cornelia Herbst, Rechnungsprüferin im Rathaus, berichtet über den erfolgreichen Abschluss der überörtlichen Prüfung der Eröffnungsbilanz. Was für eine Bilanz? Vereinfacht zusammengefasst: Darin sind alle Vermögenswerte der Stadt zusammengefasst. Das ist wichtig für die doppelte Buchführung. Kommunen sollen künftig wie GmbHs geführt werden. Wie kompliziert das ist, zeigt sich an der schweren Geburt der Eröffnungsbilanz, die eigentlich schon vor einigen Jahren vorliegen sollte. Die Bilanzsumme beträgt 465.398.241,82 EUR. Ein großer Dank für die abgeschlossenen Finanz-Marathon gebührt Frau Herbst. Leider verlässt uns diese Kompetenzträgerin aus persönlichen Gründen. Ein großer Verlust.

Fragen und Antworten

In der Fragestunde für Einwohner tritt ein Mann ans Mikrofon, der oft mit Warnjacke und Fahne der rechtsextremen Freien Sachsen im Stadtgebiet unterwegs ist. Heute trägt er in der gut geheizten Sporthalle eine Strickmütze Modell B96. Die Schwarz-Rot-Weiße Farbe empfinde ich als Affront. Politische Symbole gehören nicht in den „Ratssaal“. Das moniere ich beim OB. Ihm sind die Hände gebunden, sagt er, denn die Farben allein würden keinen Verstoß darstellen.

Dann sind die Stadträte dran. Meine Kollegin Jana Krauß fragt, ob die Stadt Görlitz an das zuständige sächsische Regionalministerium einen Bedarf an Sozialwohnungen gemeldet habe. Dabei bezieht sie sich auf einen Bericht der Sächsischen Zeitung. Bürgermeister Michael Wieler weiß nichts darüber und spekuliert, dass nur Landkreise und kreisfreie Städte befragt wurden. Dem ist nicht so, wie eine rasche Recherche ergab. Wir werden nachfragen.

Erheiternde Momente verschafft uns Einzelstadtrat Jens Jäschke. Nachdem er während der Pandemie als Maskenbefreiter ganz am Rand der Sporthalle platziert wurde, bekommt Jäschke nun einen „regulären“ Platz. Der missfällt ihm. JJ teilt der Öffentlichkeit mit, dass er nicht freiwillig neben den Linken sitze. OB Ursu zeigt Humor: „Freuen Sie sich doch einfach, dass Sie wieder in den Reihen der Stadträte Platz nehmen dürfen.“

Vergaben von Aufträgen

Zurück zu den wichtigen Dingen, wie der Finanzierung des Kitaneubaus auf der Fichtestraße. Rückblick: Die Kita „Südstadtmäuse“ befindet sich aktuell in der Arndtstraße. Wegen Asbestbelastung läuft die Betriebsgenehmigung Ende 2022 aus. Bis dahin muss die neue Kita Fichtestraße fertig sein. Vom alten Stadtrat wurde das Vorhaben mit 3 Millionen (davon 2 Millionen Förderung) völlig unterfinanziert in den Haushalt eingestellt. Das baden wir nun aus. Bereits beim Baubeschluss im September 2020 beträgt die Kostenschätzung 5,1 Millionen Euro. Um den Bau zu realisieren, verkaufen wir die Kleingärten an Kommwohnen. Nun reicht auch diese Summe nicht mehr. Wir liegen bei 5,5 Millionen Euro. Um einen Teil der fehlenden 400.000 Euro zu finanzieren, wollte die Stadtverwaltung ursprünglich die Planungskosten für den Kunstrasenplatz auf dem DTer kürzen und einen Topf für allgemeine Kita-Ausstattung plündern. Beides zusammen macht knapp 72.000 Euro aus. Da spielt der Stadtrat nicht mit. Überfraktionell wurde in den Ausschüssen dem Rathaus deutlich gemacht, dass wir für diese beiden Positionen eine Alternative wünschen. Diese besteht nun aus einem Griff in die Liquidität, der uns nicht umbringen wird. Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, die hier zusammengehalten haben. Es wäre ein fatales Zeichen an den GFC Rauschwalde und den gesamten Sport gewesen, wenn bei der erstschlechtesten Gelegenheit das Projekt Kunstrasen einkassiert worden wäre. Nun muss endlich die Planung ausgelöst werden, wir haben den Haushalt im Juni 2021 beschlossen. Seitdem ist nichts vorangegangen für den Sportplatz in Biesnitz.

Die Kita Arndtstraße wird dagegen bis Jahresende fertig. Wir beschließen einstimmig die Vergabe von Freianlagen für knapp 840.000 Euro an die STL Bau GmbH Löbau.

Auch bei der Sanierung der Grundschule in Königshufen geht es voran. Den Zuschlag für die Wärmedämmung bekommt das Baugeschäft Schur aus Boxberg für rund 870.000 Euro. (Liebe Mitlesende aus dem Kreisgebiet: Verbreitet bitte die frohe Botschaft, dass von Investitionen in Görlitz die gesamte Region profitiert. Und das ist auch gut so.)

Neuwahlen für Ausschüsse

Im Anschluss werden wegen des permanenten Ausscheidens und Nachrückens von AfD-Räten Ausschüsse neu gewählt. Nachdem in der letzten Sitzung die AfD ihre Vorschläge für die Neuwahl von sachkundigen Einwohnern nicht vorstellen wollte, nahm der OB die Wahlen runter von der Tagesordnung. Nun ein zweiter Anlauf. Die AfD zeigt sich einsichtig und stellt ihre beiden Vorschläge für den Ausschuss Kultur/Bildung/Soziales/Migration sowie den Seniorenbeirat vor. Manuela Matthes und Holger Gräfling werden gewählt, es gibt keine Gegenvorschläge. Unsere Fraktion enthält sich.

Änderung Sitzungskalender

An diesem unspektakulären Tagesordnungspunkt  entspinnt sich unerwartet eine Diskussion. AfD und Linke kritisieren das Verfahren zur Bürgermeisterwahl. Sie ist auch Grund für die Terminverschiebungen. Ursprünglich sollte der Stadtrat bereits am 19. Mai wieder tagen. Da sich die Ausschreibung für die Wieler-Nachfolge aber verzögerte, verschieben wir den Mai-Stadtrat auf den 2. Juni. Nun ist es so, dass ein Sitzungskalender auch dazu dient, Urlaub zu planen. Stadtrat zwar ein Ehrenamt, aber wenn eine so wichtige Personalie zu bestimmen ist, möchte natürlich niemand fehlen. AfD-Fraktionschef Lutz Jankus ist deshalb erzürnt. Mirko Schultze von den Linken auch. Allerdings deshalb, weil er zuvor vom Personalamt hören muss, dass diese herausragenden Position in keinem überregionalen Medium von Rang ausgeschrieben wurde. Ich enthalte mich an dieser Stelle jeden Kommentars. Wir bewerten das Verfahren am 2. Juni in der Stadtratssitzung. Vorher wird sich der Verwaltungsausschuss in zwei nichtöffentlichen Sitzungen mit dem Bewerberfeld beschäftigen und sich auf Favoriten verständigen. Vorher bleiben die Kandidatinnen und Kandidaten hoffentlich geheim. Naja – bis auf den einen, der sich schon vor der Stellenausschreibung vom Amtsinhaber inthronisieren ließ und sich und dem Auswahlverfahren damit einen Bärchendienst erwies.

Die geänderten Sitzungstermine nimmt die Mehrheit an. Auch wir sehen keine Alternative. Es gibt neun Gegenstimmen und drei Enthaltungen.

Regionales Entwicklungskonzept (REK) für den Oberzentralen Städteverbund Bautzen-Görlitz-Hoyerswerda

Oberzentraler Städteverbund? Was‘n das? Ein politischer Kunstgriff aus den 90ern. Damit nicht nur die Oberzentren Leipzig, Dresden und Chemnitz was vom großen Kuchen abbekommen (z.B. Behördensitze), schlossen sich Bautzen, Hoyerswerda und Görlitz als OSV zusammen. Da GR und HOY schon seit 2008 nicht mehr kreisfrei sind, musste das Entwicklungskonzept nun dringend angepasst werden. OB Ursu erläutert, dass sich die drei Städte künftig mehr unterstützen wollen. Themenfelder sind v.a. Bildung, Gewerbe, Tourismus, grenzübergreifende Kooperationen, Sicherheit, Gesundheit, Soziales und Sorbische Kultur. Bei konkreten Projekten geht es dem OSV u.a. um die Elektrifizierung der Bahnstrecke nach Dresden, den A4-Ausbau und die Fertigstellung der B178. Andreas Kolley von Motor Görlitz bittet namens unserer Fraktion, dass in diesem Netzwerk das Thema Bildung priorisiert wird, um gemeinsam etwas gegen den Lehrermangel zu unternehmen. In der letzten Sitzung hatten BfG, CDU und Teile der AfD gegen solcherlei „Arbeitskreise“ gelästert und einen Beschlussantrag zum interkommunalen Kampf gegen Lehrermangel abgelehnt. Heute wird dem Regionalen Entwicklungskonzept einstimmig zugestimmt.

Ein Musterbeispiel für eine gute Kooperation zwischen Verwaltung und Wirtschaft manifestieren wir im

Grundsatzbeschluss zum weiteren Vorgehen beim Projekt „Insel der Sinne“

Das Hotel am Berzdorfer See will wachsen. Ferienhäuser entstehen, der Rundweg soll breiter werden und Parkplätze müssen her. Das deckte sich größtenteils mit Zielen der Stadt. Nur kann unsere Kommune weder beim Tempo noch bei der Finanzierung mit Privaten mithalten. Also gibt es einen guten Deal: Das Hotel „Insel der Sinne“ setzt sich den Hut auf und finanziert das Projekt. Für die Öffentlichkeit besonders interessant: Der bisherige provisorische Parkplatz in der Ortslage Hagenwerder wird ausgebaut. Es entstehen zum einen Parkflächen für Hotelgäste. Diese Anlage ist komplett mit Photovoltaik überdacht und versorgt das Hotel mit Energie. Daneben entstehen rund 100 Parkflächen zur öffentlichen Nutzung. Der künftige Betreiber „Insel der Sinne“ hat schriftlich zugesagt, sich an ortsüblichen Preisen zu orientieren.

In einem kurzen Redebeitrag möchte ich das gute Miteinander von Verwaltung und Unternehmen loben und meine Hoffnung ausdrücken, dass dies Vorbildwirkung hat für eine Ermöglichungskultur. AfD-Kollege Wippel hat dieselbe Idee und darf vor mir ans Mikro. Dass ich mich öffentlich seinen Worten anschließe, sorgt für Verwirrung auf einigen Plätzen. Das zeigt mir, wie tief wir mittlerweile in ideologischen Gräben hocken, die gar nichts mit der Stadtentwicklung zu tun haben. Gutes Gelingen dem Team vom „Insel der Sinne“.

Der Beschluss wird mit großer Mehrheit gefasst. Es gibt eine Gegenstimme von Andreas Zimmermann, der für die CDU im Stadtrat sitzt und zumeist an Themen aus Hagenwerder und Tauchritz interessiert ist. Außerdem ist er der See-Beauftragte von Kommwohnen für das Gebiet am Hafen. Was das mit seiner Ablehnung einer klugen Kooperation zwischen Kommune und Hotel „Insel der Sinne“ zu tun hat? Ich hoffe nichts.

Europastadt-Ehrung

Am 31. Mai treffen sich die Stadträte von Zgorzelec und Görlitz zur gemeinsamen Sitzung in der Stadthalle. Dabei gibt es eine Ehrung für Verdienste um die Europastadt. Wir beschließen, die Stadt-Bibliothek Görlitz auszuzeichnen. Die polnische Seite lässt passend ihre Bibliothek prämieren.

Wertvolle Projekte in der westlichen Innenstadt

Mit Spannung erwarten zahlreiche junge Gäste einen Grundsatzbeschluss zur Fortsetzung von ESF-Projekten in der westlichen Innenstadt. Chancengleichheit und Teilhabe in benachteiligten Stadtgebieten“ heißt das Programm. In den letzten Jahren wurden mit den EU-Geldern mehrere tausend Menschen erreicht, vor allem Kinder und Jugendliche. Beispielhaft zu nennen sind die Projekte „Nachbarschaft leben“ (Freie evangelische Gemeinde), der Makerspace RABRYKA und Youthempowerment (Second Attempt e.V.), CYRKUS.spielt.Platz (Kulturbrücken), das ahoj-Gründungslabor (ideenfluss e.V.) oder „Wir machen den Stadtteil bunt“ (Tierra eine Welt e.V.). Knackpunkt: Der ESF fördert nur noch 85% der Kosten (bislang waren es 95%). Görlitz unterstützte im Gegensatz zu Zittau nicht bei der Finanzierung der Eigenmittel. Und das wird auch künftig so bleiben. Nach einer emotionalen Diskussion kommen folgende Varianten zur Abstimmung:

  1. Stadt zahlt die 15% Eigenmittel für die Vereine (Die Linke): Zustimmung von Linken und Motor/Grüne, Rest lehnt ab
  2. Stadt zahlt 10% Eigenmittel, die Vereine wie bisher 5% (Motor/Grüne): Zustimmung von Linken und Motor/Grüne, der Rest lehnt ab
  3. Stadt zahlt 5% Eigenmittel, die Vereine 10% (Bürger für Görlitz): 14 Ja-Stimmen, 17 Nein-Stimmen von Oberbürgermeister Ursu, CDU und AfD

Schließlich bleibt nur noch der Vorschlag der Stadtverwaltung, wonach die 15% Eigenmittel komplett durch die Vereine zu finanzieren sind. Eine Ablehnung hätte das Aus für alle Projekte bedeutet. Das weiß die CDU und lässt ihren Koalitionspartner BfG beim Herzensthema von Yvonne Reich eiskalt im Regen stehen. Für die Vorlage stimmen 22 Stadträte, die AfD stimmt dagegen bzw. enthält sich.

In einer ersten Stellungnahme schreibt uns ein Verein: Mindestens so groß wie der Stein, der uns vom Herzen fällt, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können, ist der Brocken, den wir verdauen müssen, dass die Entscheidung selbst mit dem absoluten Minimum an Unterstützung des Stadtrats derart knapp ausfiel. Wir danken denen, die unsere Arbeit sehen, verstehen und wertzuschätzen wissen. Und werden auch für alle anderen nach wie vor unseren Beitrag zur weiteren positiven Entwicklung unserer Stadtgesellschaft leisten.

Einige Auszüge aus der Diskussion:

Yvonne Reich (BfG): Wir sind allen Akteuren, die den Stadtteil beleben und die Menschen mit Ideen zusammenbringen sehr dankbar. Der Stadtteil wird durch solches Engagement attraktiver für den Zuzug. 38 Prozent wohnen dort, der Anteil von SGB2-Empfängern ist überproportional hoch.

Jana Lübeck (Die Linke): Mit unserer Zustimmung zur Fortführung der ESF-Projekte signalisieren wir: Danke, dass Ihr unsere Stadt gestaltet, sie lebenswert und sozial macht, dass Ihr uns etwas Wert seid, das man mit Geld nicht aufwiegen kann.

Lutz Jankus (AfD): Zu Geldern, das Steuerzahlern bereits abgepresst wurde, soll nun weiteres Steuergeld kommen. Das können wir nicht mitmachen. Wer Eigenanteile für eine Förderung zu erbringen hat, muss sich einen Kopf machen. Das geht dem Häkelverein, dem Sportverein und dem Heimatverein auch nicht anders. Ich wüsste auch gar nicht, wo zusätzliches Geld herkommen soll. Wir müssen irgendwann in eine Haushaltskonsolidierung einsteigen. (Bitte diese Stelle gut merken. Es geht hier je nach Vorschlag um 40.000 Euro bis maximal 123.000 Euro für zwei Jahre.)

Jana Krauß (Bündnisgrüne): Die Arbeit, die die Projekte leisten, müsste eigentlich die Kommune übernehmen. Inklusive der Finanzierung. Wir können froh sein, dass die EU es größtenteils bezahlt. Gut angelegtes Geld, das nicht in Steine fließt, sondern in Menschen. Die soziale Lage in der Innenstadt West wurde stabilisiert. Das heißt nicht, dass alles in Ordnung ist – deshalb sollten wir die Projekte fortführen. Die spannende Frage lautet: Was ist uns als Kommune die Arbeit der Vereine wert?

Dieter Gleisberg (CDU): Die Regelung mit 15% Eigenmitteln für die Träger halten wir für klug durchdacht. Die Vereine arbeiten seit vielen Jahren an denselben Themen und sind durchaus in der Lage, dies wirtschaftlich zu betreiben. Es sind oftmals auch kreisliche Aufgaben und keine der Stadt. Ich möchte die Arbeit nicht kleinreden, halte aber die Regelung mit 15% Eigenanteil für eine gesunde wirtschaftliche Maßnahme.

Gerd Weise (CDU): Unser Fundament sollte sein, die Eigenanteile so zu belassen, wie das vorgesehen ist vom Fördermittelgeber.

Torsten Ahrens (Die Linke): Um mit einem Märchen aufzuräumen: In der Förderrichtlinie steht, dass der Eigenanteil der Gemeinde durch die Projektträger erbracht werden kann. Die Regel ist also, dass die Kommune den Eigenanteil trägt. Normal wäre nach der Förderrichtlinie, sich bei den Trägern zu bedanken und nicht noch die finanzielle Belastung auf diejenigen abzuwälzen, die hier eine schwere Arbeit leisten. Das finde ich unanständig.

Jana Krauß (Bündnisgrüne): Wie sollen die Vereine rein praktisch den dreifachen Eigenanteil erbringen? Diese Träger sollen nicht wirtschaftlich tätig werden, sondern mit den Menschen im Stadtteil arbeiten. Und natürlich ist die Sozialstruktur in einer Stadt auch Aufgabe einer Kommune. Ob man das verwaltungstechnisch als freiwillige Aufgabe deklariert, ist völlig zweitrangig.

Nach der Diskussion verlassen die Gäste aus den Vereinen den Ort des Geschehens. Sie verpassen eine weitere fulminante Debatte. Thema jetzt:

Die Social-Media-Kanäle der Stadt Görlitz

Unsere Fraktion möchte, dass künftig allgemeine Berichte aus dem Görlitzer Rathaus über die Görlitz-Profile auf Facebook und Co. erscheinen. Bislang kommen Rathaus-Beiträge ausschließlich über die Fanseite des Oberbürgermeisters.

Warum mischen wir uns da ein?

  1. Die Görlitz-Facebook-Seite hat fast viermal so viele Fans wie die von OB Octavian Ursu. Auf Instagram sind es fünfmal mehr Follower. Damit verfügen die Görlitz-Seiten über erheblich mehr Reichweite, die genutzt werden sollte, um nicht nur touristische Informationen zu verbreiten.
  2. Die Mitarbeiterinnen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind für die gesamte Stadtverwaltung tätig, nicht exklusiv für den Oberbürgermeister. Es gibt ein Amtsblatt der Stadt Görlitz – kein Amtsblatt von Octavian Ursu. Genau diesen Unterschied gilt es auch bei der Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook, Instagram & Co. zu beachten.
  3. Wir halten es für angemessen, dass wichtige Informationen aus dem Rathaus über einen zentralen Görlitzer-Kanal verbreitet werden. Dazu gehören in jedem Fall Stellenausschreibungen. Wir beklagen uns, dass wir keine Leute finden, verzichten aber auf die Reichweite von Social Media. Zum Recruiting gehört es auch, die Stadtverwaltung als Arbeitgeber zu präsentieren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren guten Ideen nach vorn zu rücken. Eine Stadtverwaltung ist mehr als ihr Oberbürgermeister.
  4. Die OB-Seiten stellen wir nicht in Frage. Dort soll Herr Ursu auch zukünftig über seine Arbeit berichten. Hier regen wir mehr Interaktion an. Im Idealfall pflegt Herr Ursu diese persönlichen Seiten selbst. Das ist authentisch und spart Ressourcen im Rathaus.
  5. Regionale Beispiele für eine gute inhaltliche Aufteilung zwischen Stadtverwaltung und OB sind Zittau und Bautzen.

Die Diskussion ist erhellend. Lutz Jankus von der AfD weiß bis zu diesem Antrag gar nichts von einer OB-Seite auf Facebook. Sein Fraktionskollege Stahn wünscht sich eine bessere Webseite. Karsten Günther-Töpert (BfG) möchte solche Dinge nicht im Stadtrat bereden, sondern hinter verschlossenen Türen im Ausschuss. Die Ablehnung des Antrages sei nicht inhaltlich zu verstehen. Merkwürdiges Demokratieverständnis. Wenn eine Fraktion einen Antrag einreicht, dann ist das jederzeit möglich. Wer sind die „Bürger für Görlitz“, dass sie urteilen, was in den Stadtrat gehört und was nicht? Ist das dieselbe Attitüde wie bei der Präsentation eines Nachfolgers für Michael Wieler (Vereinsvorsitzender der BfG), bevor diese Stelle überhaupt ausgeschrieben wurde?

Matthias Urban von der CDU lässt schließlich tief blicken, als er verkündet, die Öffentlichkeitsarbeit sei Hauptaufgabe des Oberbürgermeisters. Ich hoffe doch, dass es da noch wichtigere Dinge gibt. Zum Beispiel die Verwaltung durch eine kluge Personalpolitik arbeitsfähig zu machen. Dass der OB zwar für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, dies aber nicht immer mit seinem Konterfei verbunden sein muss, merkt Mirko Schultze (Die Linke) richtig an. Und stellt die Frage, ob das Gremium Stadtrat, also die Generation im fortgeschrittenen Alter, fit genug ist für die Thematik Social Media.

Zuvor hatte der OB eine rechtliche Beurteilung seiner Hausjuristen verlesen. Danach sei er als Vertretungsorgan für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und man dürfe ihn darin nicht beschränken. Als konsensfähige Menschen ändern wir daraufhin den Antragstext, so dass keine Einschränkungen mehr drinstehen. Auch die zunächst angedachte Festlegung, aktuelle Berichte aus der Stadtverwaltung künftig über die bestehenden Görlitz-Seiten zu veröffentlichen, lassen wir fallen. Wenn es tatsächlich so ist, dass diese Seiten vorrangig von touristischen Interessenten frequentiert werden – dann zeigt uns Zittau eine naheliegende Lösung. Dort gibt es für Rathaus-Infos eine Seite namens „Stadtverwaltung Zittau“. Die konkrete Ausgestaltung läge beim OB. Er hätte auch ohne weiteres einen Schritt auf uns zugehen können. Aber nein. Weder in einem persönlichen Gespräch vor der Sitzung noch in der Debatte gibt es Bewegung. So wie er es macht, ist es richtig. Denn, so Ursu: Vor meiner Zeit gab es gar kein Social Media durch die Stadtverwaltung. Starkes inhaltliches Argument.

Wir müssen bis auf Weiteres damit leben, dass exklusiv über die Seite „Oberbürgermeister Octavian Ursu“ aus dem Görlitzer Rathaus informiert wird. Denn die Abstimmung ging knapp verloren. 16 Ja-Stimmen, 17 sind dagegen. Dass unserem Antrag Linke und AfD folgen, sorgt an diesem Abend noch für Querfront-Rufe von einem bündnisgrünen Professor in der Sporthalle. Ich lasse das unkommentiert stehen. Öl ist zu wertvoll zum ins Feuer gießen.

Hoffnung für Deutsch Ossig

Eine fast unendliche Geschichte könnte doch noch gut ausgehen: Der Stadtrat beschließt die Widmung der Strandpromenade am Berzdorfer See zwischen der Einfahrt von der B99 und dem künftigen Bootsanleger Deutsch Ossig. Damit bekommen die Haus- und Grundstücksbesitzer endlich Baurecht. Der Zerfall des denkmalgeschützten und heimatgeschichtlich unbezahlbaren Restes vom abgebaggerten Ort Deutsch Ossig kann gestoppt werden. Die Widmung war 2020 auf Betreiben von AfD und CDU kassiert worden wegen Sicherheitsbedenken. Diese gibt es immer noch. Die Hartnäckigkeit der Akteure vor Ort, die wir regelmäßig aufsuchten, aber auch das politische Piesacken im Stadtrat haben Wirkung gezeigt. In letzter Minute ist die CDU über ihren Schatten gesprungen und einem Antrag der Bürger für Görlitz beigetreten. Da stehen nun einige zusätzliche Aufgaben in Sachen Sicherheitsmaßnahmen drin, aber es gibt keine Punkte mehr, die aufschiebende Wirkung hätten. Somit kann nach Ende der Badesaison gewidmet werden. 2023 gibt es somit keine Gebührenzahlungen an einen Sicherheitsdienst. Wie die Parkordnung gelöst wird, sehen wir ab Frühjahr 2023.

Der Beschluss wird mit großer Mehrheit gefasst. Es gibt – bei einigen Enthaltungen der AfD -zwei Gegenstimmen von Gerd Weise (CDU) und Andreas Zimmermann (CDU). Letzteres überrascht nicht mal mehr.

Schilderbürger

Wie oft bekommen wir als Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne zu hören: Nehmt Rücksicht auf die Personalsituation in der Verwaltung! Stellt nicht zu viele schriftliche Anfragen! Haltet euch zurück mit Anträgen, die Mehraufwand bedeuten! Und dann kommt die CDU mit einem Antrag um die Ecke, wo es um die Beschilderung der Straßen in Görlitz geht. Weil es unterschiedliche Formen der Namenskennzeichnung gibt (mal ist nur ein Straßenname, mal eine extra Erklärung angebracht), soll die Stadtverwaltung klare Regeln erarbeiten. Ein urdeutscher Wunsch also. Nun ist es leider so, dass an diesem Tag Torsten Tschage als Fachmann der Verwaltung fehlt. Er hätte aus dem Stegreif die bereits bestehenden Richtlinien zur Gestaltung von Straßenschildern, inklusive der eingesetzten Schriftarten, rezitiert und dabei noch gut ausgesehen. Wir lehnen diese Beschäftigungsaufgabe ab. Mein Kollege Andreas Kolley fragt, ob man denn nicht ohne ein extra Regelwerk erläuternde Zusatzschilder anbringen kann. Die Mehrheit im Rat verneint das. Auf Wunsch von 19 Stadträtinnen und Stadträten erarbeitet die Verwaltung also nun Straßenschilderzusatzbeschilderungsregeln, inklusive Betrachtungen zur Barrierefreiheit. Diese Ergänzung wünschen sich die Linken. Die CDU übernimmt kommentarlos die Erweiterung. (An dieser Stelle sind keine Querfront-Rufe zu vernehmen.) Abstimmungsergebnis: 19-mal Ja, 10-mal Nein für den Schilderbürgerstreich.

Zum Ende des Abends wird noch ein Antrag von unserer Fraktion behandelt. Es geht uns um die

Finanzierung der städtischen Zuschüsse für die Betreibung der Stadthalle

Wir beantragen zwei Punkte:

  1. Der Stadtrat beauftragt den Oberbürgermeister, Vorschläge zu erarbeiten, wie die zu erwartenden Zuschüsse für die spätere Betreibung der Stadthalle finanziert werden sollen.
  2. Der Stadtrat beschließt vor dem endgültigen Baubeschluss ein Konzept zur Finanzierung der städtischen Zuschüsse für die Stadthallenbetreibung, das bis zur Inbetriebnahme fortgeschrieben wird.

Als Begründung erkläre ich, dass die Stadt Görlitz gesetzlich verpflichtet ist, ihren Haushalt sparsam und wirtschaftlich zu führen, um die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben zu sichern (geregelt in § 72 Sächsische Gemeindeordnung). Wir wissen, dass die Stadt Görlitz bereits jetzt und auch in absehbarer Zeit 5-7 Millionen Euro jährlich mehr ausgibt, als sie einnimmt. Zu diesem Defizit wird eine Million Euro für die Stadthalle kommen. Mindestens in Höhe der anzunehmenden zusätzlichen Kosten für die laufende Betreibung sind somit geeignete Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, die ab Inbetriebnahme der Stadthalle direkt wirken. Die Verwaltung soll Einsparmaßnahmen vorschlagen. Auf dieser Basis diskutiert und entscheidet der Stadtrat, bevor der endgültige Bau beschlossen wird.

Eine solche Herangehensweise sorgt für Transparenz gegenüber der Bürgerschaft. Der Betrieb der Stadthalle wird finanzielle Folgen haben. Wie wir sie meistern, gilt es konkret herauszuarbeiten und offen zu kommunizieren.

Bürgermeister Michael Wieler agiert rhetorisch klug und bringt unseren sachlichen Antrag in einen völlig anderen Zusammenhang. Es geht nun nicht mehr um die Frage, ob wir nicht langsam mal beginnen wollen, zu schauen, wie die Halle finanziell gewuppt werden kann und worauf wir dafür verzichten wollen. Stattdessen zettelt er eine Grundsatzdebatte an. Wieler hebt ab auf andere freiwillige Aufgaben, die man auch im Vorfeld nicht genau beziffern kann. Spricht von „vorauseilendem Gehorsam“, wenn wir nur Dinge angehen, von denen wir genau wissen, dass wir sie in fünf Jahren finanzieren können. Auch der Begriff „kleinmütig“ fällt.

Ja, Leute – wer will schon kleinmütig sein? Wielers Plan geht auf. Die Mutigen der Fraktionen aus AfD, CDU und BfG nehmen die thematische Verschiebung dankbar an. So müssen sie keine inhaltlichen Argumente zu unserem Antrag bringen. Es ist auch viel bequemer, wie Rolf Weidle einzustimmen in den Chor derer, die unserer Fraktion eine Verweigerungshaltung unterstellen. Er sagt: „Die einreichende Fraktion will die Stadthalle nicht. Sie glaubt, sie kann sich über den über die Jahre hinweg dokumentierten Willen einer sehr großen Mehrheit des Stadtrates hinwegsetzen. Dies belegen auch zahlreiche Meinungsäußerungen der letzten Jahre auf Facebook aus den Reihen der Fraktion.“

Sorry Rolf und Co.: Ihr habt den Antrag nicht gelesen oder wollt ihn absichtlich falsch interpretieren. Mit dieser Vorlage akzeptieren wir die Mehrheitsmeinung. Sie wünscht die Sanierung und den Betrieb. Was fehlt, ist eine regelkonforme Ausgestaltung. Bund und Land geben ihre Förderung nur, wenn die Stadt Görlitz alle Folgekosten absichern kann. Wie wollen wir das rechtssicher zusagen, ohne uns vorher damit zu beschäftigen? Und dann gibt es noch diese nervenden Haushaltsgrundsätze. Nicht mehr ausgeben als einnehmen zum Beispiel. All jenen, die uns Verhinderungstaktik unterstellen, sei versichert: Wir haben lediglich die fachlichen Hinweise aus dem Amt für Stadtfinanzen aufgegriffen.

Dieses Argument kann ich aber nicht mehr in der regulären Diskussion anbringen. Denn der schon mehrfach erwähnte Andreas Zimmermann beantragt ein Ende der Diskussion und Abstimmung. Das ist geübte Praxis im Stadtrat. Vor zwei Jahren erlebten wir das gleiche Szenario. Ebenfalls bei einem Stadthallenthema. Ich versuche den Antrag auf Ende der Debatte abzuwehren und den zuvor aufgekommenen Streit zwischen Teilen der Linken und der CDU einzufangen: „Ich möchte Sie herzlich einladen, die Debatte fortzuführen. Ich finde, es ist eine interessante und vielschichtige Diskussion. Wir werden auch die Gemüter wieder runterkühlen. Vielleicht hilft es zum weiteren Gelingen, wenn man feststellt, dass es kein Antrag ist, um die Stadthalle zu verhindern. Im Gegenteil: Wir nehmen einen Hinweis des Amtes für Stadtfinanzen auf und haben ihn in Antragsform gegossen. Wer entsprechende Stellungnahmen liest, wird das sehr leicht feststellen.“

Der Aufruf verhallt. Wie schon 2020 stimmen auch die Kollegen der Bürger für Görlitz gegen die Fortsetzung der inhaltlichen Auseinandersetzung. Bemerkenswert. Damit wird ohne weitere Debatte abgestimmt. Unserem Antrag, sich mit den finanziellen Auswirkungen eines Stadthallenbetriebes rechtzeitig zu beschäftigen, folgen acht Stadträte. 21 finden das unnötig. (An dieser Stelle erinnern wir uns an die erbitterte Diskussion um vergleichsweise geringe Summen für ESF-Projekte.)

In einer persönlichen Erklärung nehme ich nochmals Stellung: „Ich bin zum wiederholten Mal tief enttäuscht, wie hier mit der Debattenkultur umgegangen wird. In dem Moment, wo es unangenehm wird, wo man keine Antworten mehr hat, wird Ende der Debatte beantragt. Das ist kein gutes Miteinander. Ich stelle fest, dass weiterhin eine große Mehrheit des Stadtrates im Blindflug an die Stadthallensanierung und einen späteren Betrieb herangeht, ohne jegliche Kenntnis davon, wie man sich das zukünftig finanziell leisten wird.“

Für meine Verhältnisse ein Auftritt wie im Kuschelgehege. CDU-Fraktionsgeschäftsführer Matthias Urban fühlt sich von den gestreichelten Argumenten dennoch getroffen und greift zur Argumentations-Bazooka: „Herr Altmann ich bin genauso enttäuscht von ihrer Debattenkultur. Ich kann nicht erkennen, dass Sie eine sachliche Diskussion im Stadtrat führen wollen. Wenn Sie tatsächlich um die Sache kämpfen wollen, dann gehören solche Debatten in den Ausschuss. An dieser Stelle Behauptungen aufzustellen, die nicht der Wahrheit entsprechen und andere Fraktionen zu beleidigen und zu verunglimpfen, das sind Dinge, die gehören sich nicht in einer öffentlichen Debatte. Deshalb war es gut von Andreas Zimmermann dem endlich ein Ende zu setzen. Gehen Sie mal in sich, überdenken Sie das Ganze, versuchen Sie es zu rekapitulieren und werden Sie mal wieder vernünftig.“

Epilog: Nach einer Nacht drüber schlafen kann ich keine Unvernunft feststellen. Aber durchaus Lust auf kollegiale Zusammenarbeit. Ja, ich gebe Matthias Urban Recht, den ich als glücksbringenden Schornsteinfeger ebenso schätze wie als ehrenamtlichen Feuerwehrmann. Ja, wir brauchen mehr ernsthafte Debatten in den Ausschüssen. Wenn das alle Fraktionen möchten, wird es uns auch gelingen. Denn da gilt es einen Fehler im System zu beheben: Anträge von Fraktionen werden in den Ausschüssen zumeist gar nicht vorbesprochen. Das liegt nicht an den einreichenden Fraktionen, sondern an Regeln, die altgediente Stadträte zu Friedenszeiten aufgestellt haben. Gemeinsame Ziele verbinden – packen wir es an, Kollegen.

 

Autor: Mike Altmann
Symbolfoto: Die RABRYKA – Mitmachort in der Görlitzer Innenstadt

Ich darf wieder rein. Nachdem mich eine Kontaktpersonenquarantäne an der Teilnahme der Sondersitzung zur Oberschule hinderte, freue ich mich auf ein paar Stunden Kommunalpolitik. Unsere Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne legt zu Beginn der Sitzung ausnahmsweise den Rückwärtsgang ein. Unser Antrag, mit dem wir die Bahnstation Weinhübel retten wollen, geben wir zurück in die Ausschüsse. Es gibt noch einigen Redebedarf. Dazu informieren wir demnächst auch ausführlich.

OB Ursu verkündet anschließend einige wichtige Punkte. Neben der erfreulichen Übergabe der Rettungswache am Berzdorfer See gibt es schlechte Nachrichten von der GVB. Geschäftsführer Andreas Trillmich muss aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Ein herber Verlust für die junge Verkehrsgesellschaft. Die Lücke füllen soll zunächst Prokurist Sven Sellig. Beratend zur Seite stehen wird ihm Ex-OB Siegfried Deinege, um insbesondere die Beschaffung der neuen Stadtbahnen zu organisieren. Danke Andreas Trillmich, alles Gute für die Zukunft, insbesondere gesundheitlich. Toi, toi, toi ans neue Führungsteam und die gesamte GVB.

 

Welterbe-Bewerbung

Bürgermeister Michael Wieler berichtet zum Stand der Bewerbung für das UNESCO-Welterbe. Rückblick: 2014 war die Görlitzer Bewerbung zurückgestellt worden. Die Jury gab den Hinweis, sich nicht nur auf die Hallenhäuser und die Altstadt zu fokussieren. Vielmehr sollte Görlitz seine ganz eigene Geschichte erzählen. Diese heißt nun „Ein Architekturensemble von Kaufleuten an der Via Regia“. Dargestellt wird das zentraleuropäische Handelswesen in der frühen Neuzeit. Also die Entwicklung des Fernhandels, in deren Folge die Hallenhäuser entstanden. Görlitz wird die Bewerbung in den kommenden Tagen beim Freistaat abgeben. Im Herbst gehen die Vorschläge an den Bund – hier ist Görlitz in jedem Fall dabei, da die ursprüngliche Bewerbung 2014 nicht abgelehnt, sondern zurückgestellt wurde. Erst im Herbst 2023 entscheidet die deutsche Kultusministerkonferenz welche Projekte auf die UNESCO-Vorschlagsliste kommen. Michael Wieler ist optimistisch, dass es klappt. Schließlich hat man sich einen internationalen Experten an die Seite geholt, der bereits neun erfolgreiche Welterbe-Bewerbungen begleitet hat. Das Gebiet des geplanten UNESCO-Welterbes umfasst übrigens die Altstadt bis zum Kaisertrutz und reicht bis in die Nikolaivorstadt. Begleitet werden soll die Görlitzer UNESCO-Bewerbung durch eine Ausstellung in der Galerie auf der Brüderstraße. Drücken wir die Daumen. Der Welterbe Titel wäre unschätzbar für die Entwicklung von Görlitz als touristische Destination und verdienter Lohn für den Schutz und Wiederaufbau des historischen Stadtkerns. Müssen wir Angst haben, dass es als UNESCO-Welterbestätte keine Entwicklung mehr gibt? Nein, sagt Michael Wieler und verweist auf Stralsund und Lübeck, wo mit Ozeaneum und Hansemuseum zwei moderne Objekte in Abstimmung mit der UNESCO errichtet wurden. In Görlitz könnte dies auch geschehen, wenn man an das Kondensatorenwerk an der Neiße denkt, das künftig für das CASUS-Institut umgebaut werden soll. Die Bewerbung von Görlitz als UNESCO-Welterbestätte kostet pro Jahr etwa 100.000 Euro. Ein sinnvolles Investment, wie ich finde.

Premiere bei der Bürgerfragestunde: Es gibt keine Fragen. Dafür haben die Stadträte einiges auf dem Herzen.

Yvonne Reich (BfG) möchte vor dem Beschluss zum Haushalt einen Zuschuss für die Helenenbad-Betreiber. Die Kinderbadelandschaft muss vorbereitet werden. Bislang bekam der AUR e.V. als Betreiber einen Jahreszuschuss von 30.000 Euro. Das ist auch für 21/22 im Haushaltsentwurf eingeplant. Allerdings wird der Etat nicht vor dem Sommer genehmigt sein. Einziger Weg ist ein sogenannter Mittelvorgriff, den der Stadtrat beschließen kann. Wenn das rechtlich möglich ist, stehen wir dem Vorschlag positiv gegenüber. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist es ein schöner Erholungsort in der Stadt. Vielleicht sind wir in der Mai-Sitzung schon schlauer.

Fraktionskollege Danilo Kuscher (Motor Görlitz) erkundigt sich nach der Verzögerung bei der Fußgängerbrücke auf der Blockhausstraße. Diese soll während der Brückenbauarbeiten die Verbindung von und zur Goethestraße sichern, kommt nun aber mit zehn Wochen Verzögerung. Glück im Unglück: Da die gesamten Bauarbeiten deutlich später starten, wird sich dieses Problem von selbst lösen. Heißt: Anwohner müssen nicht über einen Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um etwa von der Bahnhofstraße zum Arzt auf der Goethestraße zu gelangen. Ursache für die Lieferschwierigkeiten der Fußgängerbrücke ist die Lage auf dem Rohstoffmarkt. Engpässe und explodierende Preise  – wie stellt sich die Stadtverwaltung darauf ein, wenn es um künftige Bauvorhaben geht, möchte Danilo wissen. Bürgermeister Wieler sieht wenig Optionen. Im Vorfeld von Ausschreibungen gibt es aktuelle Kostenschätzungen. Mehr könne man nicht machen.

Nachdem es im März nicht mit einer konkreten Antwort geklappt hatte, wiederhole ich meine Frage, wann der OB ein Personalentwicklungskonzept vorlegt. In einer der nächsten Sitzungen des Verwaltungsausschusses soll es soweit sein. Ich bin gespannt.

Wieviel kostet eigentlich der Betrieb einer öffentlichen WC-Anlage? 12.000 Euro. Teurer kann es werden, wenn Vandalen hausen. Wie immer wieder in der Apothekergasse. Dort ist seit einiger Zeit schon „Eintritt frei“. Die Versuche von Dieben, an die Münzen zu kommen, haben so hohe Schäden verursacht, dass es günstiger ist, erst gar keine Einnahmen zu erzielen. Traurige Welt.

 

Dann kommen wir zu den Beschlüssen:

Einstimmig beschließen wir, dass die Kita Samenkorn im Haus Wartburg mit Hilfe von Fördermitteln saniert und umgebaut wird.

Für den Bau der Kita Fichtestraße geht der Auftrag an die TBN Terminbau Niesky GmbH.

Das fortgeschriebene Einzelhandelskonzept (EHK) wird ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen. Der Titel führt in die Irre. Es handelt sich nicht um ein Entwicklungs-Konzept. Eher um einen Stadtplan, der zeigt, in welchen Gebieten von Görlitz welche Verkaufseinrichtungen angesiedelt werden können.

Mit Spannung erwartet wurde vor der Sitzung die Wahl des oder der Beauftragten für Kinder, Jugend und Familie. Neben dem seit fast zehn Jahren amtierenden Eugen Böhler bewarb sich Dr. Ines Mory. Sie stammt aus Pasewalk und lebt seit einigen Jahren in Görlitz. Ines Mory ist promovierte Theologin und arbeitet jetzt als Lehrerin in Herrnhut. In geheimer Abstimmung wird sie zur neuen Beauftragten gewählt. Frau Mory erhält 19 Stimmen, Eugen Böhler 16. Meine Kollegin Kristina Seifert (Bündnisgrüne) bedankt sich namens unserer Fraktion beim bisherigen Familienbeauftragten für sein Engagement und wünscht der Nachfolgerin viel Erfolg. Außerdem regt sie an, dass wir das Verfahren ändern. Eine solch wichtige ehrenamtliche Position sollte demnächst öffentlich ausgeschrieben werden, damit auch alle Interessierten davon Kenntnis bekommen und sich bewerben können. Bei der nun abgeschlossenen Berufung von Frau Mory gab es ein internes Verfahren, bei dem die Fraktionen Vorschläge unterbreiten konnten. Leider war selbst das Lokale Bündnis für Familie nicht eingebunden.

Es folgt eine längere Prozedur, bei der Ausschüsse und Gremien neu besetzt werden müssen aufgrund der Wechsel in der AfD-Fraktion.

Höhepunkt der politischen Debatte ist die Frage: Übernachtungssteuer oder Gästetaxe? Zwei ähnlich gelagerte Anträge liegen vor. Bürger für Görlitz wollen eine „Kulturförderabgabe“, Motor/Grüne eine „Gästetaxe“. Dahinter steckt jeweils der Plan, dass Görlitz von Übernachtungsgästen Geld einnimmt. Warum solche Anträge nicht im Vorfeld abgestimmt werden, so dass nicht zwei zum selben Thema vorliegen? Man muss davon wissen. Deshalb reicht unsere Fraktion ihre Anträge nicht nur bei der Verwaltung ein, sondern informiert parallel alle Fraktionen. Bei diesem Thema waren BfG „schneller“, haben aber diese Information nicht weitergegeben. Somit gab es einige Tage später einen zweiten Antrag unserer Fraktion. Anfang April erklärten die Beteiligten den Willen, sich Zeit zu nehmen, in Ausschüssen zu beraten und sich auf einen Antrag zu verständigen, der im Stadtrat behandelt wird. Davon ist wenig später nichts mehr zu spüren. Die BfG ändern ihren Antrag inhaltlich. Kulturförderabgabe steht nur noch in der Überschrift. Etikettenschwindel. Es geht ihnen um eine reine Übernachtungssteuer, die sie auch unbedingt im April beschließen möchten. Somit stehen die zwei Anträge auch auf der Tagesordnung.

Um es vorwegzunehmen: Gegen die Empfehlungen von Tourismusverbänden und IHK beschließt der Görlitzer Stadtrat mit 18:17 die Einführung einer Übernachtungssteuer ab 2022. Eine Gästetaxe, wie von Motor Görlitz/Bündnisgrüne vorgeschlagen, ist damit durchgefallen. Gemeinsames Ziel beider Anträge: zusätzliche Einnahmen im Umfang von etwa 500.000 Euro pro Jahr. Wesentlicher Unterschied: Die Übernachtungssteuer fließt komplett in den Haushalt und kann somit auch für Bürobedarf der Verwaltung ausgegeben werden. Der Erlös aus einer Gästetaxe ist dagegen zweckgebunden und darf nur für touristische Zwecke ausgegeben werden.

In der Debatte betont unsere Fraktion, dass wir Einnahmen von Übernachtungsgästen wollen. Dass Hotels und Pensionen für uns dieses Geld einnehmen sollen. Die Akzeptanz für einen solchen Aufwand steigt, wenn man weiß, dass das Geld in touristische Angebote fließt. Ohne diese Akzeptanz bekommen wir schlechte Stimmung. Darauf hatten mehrere Seiten im Vorfeld der Sitzung hingewiesen. Die IHK schrieb in einer Stellungnahme, dass sie grundsätzlich eine Übernachtungssteuer ablehnt, „da sie in den allgemeinen Haushalt fließt und eine Belastung der Beherbergungsbetriebe darstellt, die in keinem Verhältnis zu den ökonomischen Effekten für den Tourismus steht.“ Wenn überhaupt, so die IHK, wäre man zu einem späteren Zeitpunkt und bei frühzeitiger Einbindung der touristischen Anbieter mit einer Gästetaxe einverstanden. Auch der Tourismusverein hatte gefordert, dass man gemeinsam mit den touristischen Anbietern die unterschiedlichen Ansätze umfassend prüft und bewertet. Diesen Gesprächswünschen hätte der Stadtrat leicht zustimmen können. Allerdings lehnte eine Mehrheit unseren Antrag ab, beide Vorlagen in die Ausschüsse zu verweisen. In der entscheidenden Abstimmung votieren dann 18 Stadträte für die Übernachtungssteuer der BfG, 17 sind dagegen. Die entscheidende Stimme für die Übernachtungssteuer kommt von Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU).

Die Debatte ist bemerkenswert. Zum einen umgeht die Verwaltung ihre Pflicht, den Stadträten umfassende Informationen für ihre Entscheidung zur Verfügung zu stellen. Ausführlich reden darf nur der Mitarbeiter aus dem Amt für Stadtfinanzen, der die Übernachtungssteuer empfiehlt. Nicht zu Wort kommt jedoch die fachlich zuständige Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH. Weil sie sich für eine Gästetaxe ausspricht? Bemerkenswert auch einige Redebeiträge. Bürgermeister Michael Wieler verweist darauf, dass die Stadt seit 15 Jahren Millionen für die EGZ einsetzt, „ohne dass die Tourismuswirtschaft hier einen Cent direkt dazu beiträgt.“ Über die EGZ werde an 365 Tagen im Jahr eine Tourist-Info betrieben. „Wenn wir jetzt darüber nachdenken wollen, wie wir ein paar hunderttausend Euro für den Tourismus verwenden wollen, dann sind wir etwas fehlgeleitet. Wir haben viel für den Tourismus getan, wir haben die Stadt attraktiv gemacht, gemeinsam mit privaten Investoren und das können wir den Hoteliers und Gastronomen sagen.“ Starke Worte in Richtung einer Branche, die wie kaum eine andere durch die Corona-Pandemie gebeutelt wurde.

In ein ähnliches Horn stößt Prof. Joachim Schulze von der BfG-Fraktion. Er bezeichnete die Ablehnung der Übernachtungssteuer durch den Landestourismusverband als Lobbyismus: „Es geht letztlich um die Kontrolle der Einnahmeverwendung, die man gern im eigenen Tätigkeitsfeld haben möchte. Eine Privilegierung einer Branche für die Mitbestimmung erschließt sich mir nicht.“ Hundebesitzer dürften schließlich auch nicht entscheiden, wofür die gezahlte Hundesteuer verwendet wird. Unpassender Vergleich. Zur Hundesteuer gibt es keine rechtliche Alternative. Zur Übernachtungssteuer schon. Mit der Gästetaxe können Kommunen den Erlös zweckgebunden verwenden. Ob für die Tourismus-Information oder neue Toiletten, ob für Investitionen am Berzdorfer See oder Veranstaltungen wie das ViaThea – das Geld fließt in touristische Infrastruktur und Angebote. Mit klugen Beteiligungsverfahren hätten wir Akteuren aus dem Tourismus ein Mitspracherecht ermöglichen können, etwa im Rahmen eines Beirates. Dass ausgerechnet Prof. Schulze als ein geistiger Vater der Bürgerbeteiligung in Görlitz darin eine Beschneidung des Stadtrates  sieht, ist erstaunlich.

Ein weiteres Argument von Herrn Professor Schulze: Die Gästetaxe sei ein „Bürokratiemonster“. Erstaunlich, dass dennoch 53 sächsische Kommunen eine Gästetaxe haben. Nur in Dresden gibt es eine Übernachtungssteuer. Handelt es sich denn tatsächlich um „Bürokratie“? Es geht eher um kaufmännische Pflichtaufgaben. Was bieten wir in Görlitz den Touristen an? Was kostet das? Zu welchem Anteil werden die Angebote von Gästen genutzt? Das ist keine Bürokratie, sondern notwendige Basis für die strategische Entwicklung des Tourismus. Und zwar völlig unabhängig davon, ob man eine Gästetaxe einführen möchte. Dies war ein wesentlicher Punkt warum sich die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne für das Modell entschieden hatte. Einer Übernachtungssteuer, die ohne Gegenleistungen für Gäste und Tourismusbetriebe eingezogen wird und im großen Haushaltstopf landet, werden wir auch zukünftig nicht zustimmen.

 

Zum Abschluss wird es heiter. Wir beschäftigen uns mit einem Antrag der Fraktion Die Linke. Sie möchte SZ-Abos für alle Stadträte. Es ist eine Vorlage mit Augenzwinkern, die eigentlich thematisiert, dass man wichtige Infos der Verwaltung häufig zuerst aus der Zeitung erfährt. Meine Co-Fraktionsvorsitzende Dr. Jana Krauß schätzt ein, dass das Thema sicherlich interessant ist für eine Debatte aber „die nötige Tiefe“ für einen Beschlussantrag fehlt. Am Ende stellt sich die Frage, ob denn zumindest die zwei anwesenden Räte der Linken ihrem eigenen Antrag zustimmen. Das erledigen sie tapfer. Mehr Befürwortung gibt’s nicht.

Und nochmal Die Linke. Sie beantragen, dass sich die Verwaltung mit der Frage beschäftigt, ob man das Schlachthofgelände kaufen könne. Auch um das Nostromo langfristig zu erhalten. Die Entwicklung hat den Antrag überholt. Es gibt mittlerweile einen ominösen Kaufinteressenten, der wohl im Interesse von Stadt und Nostromo das Areal erwerben möchte. Der Tanztempel würde einen langfristigen Pachtvertrag bekommen, die Stadt wiederum ein Vorkaufsrecht für das Gelände. Bislang kennt niemand den Namen des „Weißen Ritters“. Und das wird auch noch so bleiben, bis der Vertrag in trockenen Tüchern ist. Aktueller Stand: Verkehrswertgutachten Schlachthof ist in Arbeit, das bildet Grundlage für Vertrag, Gespräche werden fortgesetzt. Die Linke zieht ihren Antrag zurück. Notfalls kann er wieder ausgepackt werden, falls der Verkauf nicht zustande kommt. Ausdrücklich unterstützt unsere Fraktion die in der Vorlage gewünschte bürgerschaftliche Beteiligung bei der Frage: Wie soll das alte Schlachthofgelände künftig genutzt werden? Ein Katastrophenschutzzentrum mit Feuerwehr, wie zuletzt von Bürgermeister Wieler vorgeschlagen? Das bedeutet: Zaun drum. Wollen wir das an dieser exponierten Stelle in der Innenstadt? Man sollte zumindest ausführlich darüber reden – mit weit geöffneten Türen, Köpfen und Herzen. Wie über so vieles in unserer schönen Stadt. Kommt gut in den Mai.

 

Text: Mike Altmann